Vom angenehmen Leben

Gottfried Keller starb vor 120 Jahren

von Frank Becker

Gottfried Keller (1819-1890)

Am 15. Juli 1890
, also vor 120 Jahren starb nach sechsmonatiger Krankheit der Schweizer Nationaldichter Gottfried Keller als Hagestolz in seinem Geburtsort Zürich.
Adolf Frey berichtet: "Des Todes Hand lag auf ihm, über das blasse Gesicht mit den meist geschlossenen Augen war ein unendlicher Friede gebreitet. Er sprach noch von diesem und jenem und flocht auch wohl noch eine kleine Schalkheit ein; aber meistens war er eine Beute der schlummersüchtigen Müdigkeit."

Davon, daß er in seinen besseren Jahren ein durchaus angenehmes und sinnenfrohes Leben geführt hat, zeugen nicht nur Erzählungen seiner Zeitgenossen und seine eigenen köstlich selbstironischen Briefe. Zwei davon möchten wir Ihnen zur Erinnerung an den Autor von "Kleider machen Leute", "Der grüne Heinrich", "Die Leute von Seldwyla"
, "Romeo und Julia auf dem Dorfe", "Martin Salander" u.a.m. vorlegen.

Gottfried Keller an Marie Exner
(Zürich, 16. Dezember 1872):

"Höflichen und herzlichen Dank für die zwei Bilder, die mir Herr Dilthey gestern abend gab. Bis zu diesem Augenblick, das heißt seit Monaten,hatte ich in Zucht und Ehre gelebt.
Gestern tranken wir zwei nun folgendes: 
8 Glas Bier
2 Schoppen Wein
2 Flaschen Wein2 Gläser Grog

2 Wiener Schnitzel (Dilthey)
1 Blumenkohl (idem)
1 Hasenbraten (ich)2 Brot (beide)
1 Kartoffelsalat (ich)
1 Käs (Dilthey)
1 Butter (idem)

1 Brot (idem)
macht 24 Einheiten, die wir zusammen verschlangen. Als Dilthey meinen
schönen Hasenbraten sah, wollte er auch welchen haben, es war aber keiner
mehr da.  Ich bot ihm den meinigen an gegen Abtretung der Wiener Schnitzel.
Da wurde er mißtrauisch und behielt sie.
Heut´ hab ich etwas Katzenjammer; als ich um neun Uhr aufstand und die Photographien besah, machte ich ein zwinkerndes Gesicht, wie eine alte Eule, die an einem hellen Morgen aufs Meer hinausschaut. (...)

Dilthey ließ ich gestern nachts beim Heimgehen immer drei Schritte voraus marschieren, damit er mir nichts Böses nachsagen könne bezüglich meines Wandels; tut er es dennoch, so glauben Sie es nicht!
Nun wünsche ich Ihnen und Ihren Herrn Brüdern, die ich grüße, dankbarlichst ein glückliches und frohes Weihnachts- und Neujahrswesen und verbleibe Ihr ergebener
G.Keller

Gottfried Keller an Karl Dilthey
(Zürich, 13. Januar 1873)


Als ich den Exnerschen für das bewußte Freßkörbchen dankte, hatte ich aus Dummheit geschrieben, ich hätte es sofort ganz ausgefressen. Diese Renommage hat mir heute beiligende Episten eingetragen, aus welchen Sie ersehen, daß Sie nächstens einmal zu mir kommen müssen. Gott sei Dank, ewiglich, daß ich mich wenigstens halb reinwaschen kann. Ich denke mir die Sache so, daß wir uns mittels Einnehmens des kalten Imbisses und etwa zwei Flaschen Weins einen schönen Bierdurst anschaffen und alsdann in den "Gambrinus" oder so wohin gehen, um denselben zu löschen. An einer späteren Bewirtung von mehreren Köpfen studiere ich auch herum...


Gottfried Keller (1819-1890), Lyriker, Romancier, Novellist, einer der größten deutscher Sprache
Karl Dilthey (1839-1907) war 1870-1877 Professor für Archäologier an der Universität Zürich.
Marie Exner, verh. von Frisch (1844-1925), lebte damals bei ihrem Bruder Adolf Exner in Zürich
Adolf Frey (1855-1920), Schriftsteller und Literaturhistoriker, Biograph Kellers und C.F. Meyers