Kindfrau und Circusprinzessin

Wedekinds "Monstertragödie" im Schauspiel Essen bleibt trotz aller Farbe bleich

von Andreas Rehnolt
Lulu als blasse Kindfrau und Circusprinzessin

Wedekinds "Monstertragödie" im Schauspiel Essen
bleibt trotz aller Farbe bleich
 
 
Regie: Schirin Khodadadian - Bühne: Ansgar Silies - Kostüme: Pia Janssen - Musik: Stephan Kanyar
Besetzung -  Schigolch: Werner Strenger - Lulu: Barbara Hirt - Dr. Goll: Thomas Marx - Dr. Franz Schöning: Andreas Grothgar - Alwa Schöning: Krunoslav Šebrek - Eduard Schwarz: Fritz Fenne - Ferdinand: Matthias Eberle - Dr. med. Bernstein: Thomas Marx - Martha Gräfin von Geschwitz: Bettina Engelhardt - Rodrigo Quast: Nicola Mastroberardino - Chevalier Casti-Piani: Rezo Tschchikwischwili - Bob: Matthias Eberle - Kungu-Poti: Thomas Marx - Mr. Hopkins: Rezo Tschchikwischwili - Dr. Hilti: Fritz Fenne - Jack: Nicola Mastroberardino - Pianist: Stephan Kanyar

Trotz Farbe bleich

Essen - Frank Wedekinds "Lulu" kommt in der jüngsten Inszenierung am Essener Grillo-Theater als blasse Kindfrau und ausstaffierte Circusprinzessin daher. Regisseurin Schirin Khodadian und Barbara Hirt als ihre Lulu bleiben trotz aller Farbe während der zweieinhalb Stunden auf der Bühne zu farblos und bleich. Zwar stolziert sie wie eine Giraffe, springt die Männer affenartig an oder hangelt sich am Klettermast wie eine geschmeidige Katze empor. Doch all das wirkt zu artistisch und zu wenig theatralisch. Ab und an wird's sogar klaumaukig in dem Stück, das über Jahrzehnte hinweg nicht in der ursprünglichen frühen und frechen Fassung gespielt werden durfte.
 
Lulu als Wanderpokal

Lulu kommt von der Straße und steigt auf - nein, schläft sich hinauf - bis in die besten Kreise der Gesellschaft. Eine Karriere über die Besetzungscouch. Und Lulu wird weitergereicht. Von einem Mann zum nächsten, manche sterben an ihrer Verzückung. Fast möchte man sagen: "Leichen pflastern ihren Weg". Den Anfang macht der altersgeile Obermedizinalrat Goll, der sich das Geschöpfchen Lulu vom Maler Eduard Schwarz für die Ewigkeit porträtieren läßt. Doch der verfällt beim Malen schon mit dem ersten Pinselstrich der Verlockung. Nur, um Lulu gleich wieder an den Chefredakteur Franz Schöning zu verlieren. Andreas Grothgar als Schöning ist sicherlich die glaubwürdigste Figur. Wie er sich zugleich von Lulu angezogen und abgestoßen fühlt, wie er sich von ihr trennen und zugleich nicht von ihr lassen will und kann, geht an die Nieren.
 
(Zu) schneller Abstieg

Ansonsten fallen die "Herren" wie die Tiere über das Kindweib her, und auch die lesbische Gräfin von Geschwitz (Ein wenig zu sehr leidend: Bettina Engelhardt) zerfließt vor Verlangen nach einer Liebkosung und zerbricht am Ende auch. Lulu, von allen gefordert, von allen gewollt, bleibt letztlich immer allein. Daß sie ausgerechnet den einzigen Mann, den sie wirklich geliebt hat - Schöning - erschießt, macht sie noch angreifbarer. Jemand hat den Mord gesehen, will sie verraten und zwingt sie zur Flucht, nicht bevor sie den Mitwisser beseitigen läßt. Während der Aufstieg noch nachvollziehbar ist, wird Lulus Abstieg zurück zur Gosse zu schnell inszeniert.
 
Pluspunkte für Strenger und Silies

Eben noch die Frau des Malers, der sich zu sehr nach Boulevard-Manier minutenlang röchelnd und keuchend den Hals zersäbelt, ist sie schon in einem Bordell. Von da an dauert es nicht lange, bis sie als Straßenmädchen anschafft. Dort findet sie - fast zwangsläufig - Jack the Ripper, der sich auf seine Art und Weise mit ihr Lust verschafft indem er ihr das Messer mehrfach in den geschundenen Leib sticht. Gut, zwielichtig und unheimlich in der Essener Inszenierung auch der von Werner Strenger wie ein schmieriger Circus-Direktor gespielte Schigolch, der mal Lulus Vater zu sein scheint, mal wie ihr erster Vergewaltiger wirkt und am Ende ihr abgehalfterter Zuhälter ist, der ihren Leichnam von der Bühne schleppt.
Großartig übrigens das Bühnenbild von Ansgar Silies. Anfangs mit Treppen und lüstern-roten Vorhängen, am Ende dann steht nur noch ein nacktes, schutzloses Holzgerippe, in das nichts mehr hineingeheimnist werden kann. 
 
Nächste Aufführungen: 2., 10. und 31. Mai
Weitere Informationen: www.theater-essen.de