Musikstunde

Über Husten-Orgien und andere Anlässe zum Mißvergnügen

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker
Konrad Beikircher
Musikstunde

Husten-Orgien und andere Anlässe
zum Mißvergnügen


Guten Tag, liebe Musenblätter-Leser, liebe Freunde meiner musikalischen Plaudereien, mich drückt und plagt schon eine geraume Weile ein Übel, das Ihnen ebenfalls so vertraut sein wird, daß Sie gleich seufzend mit einstimmen: der Konzerthuster (auch die Husterin wird gern genommen!). Unsere ständigen Leser haben ja vielleicht auch schon die Abhandlungen meiner lieben Musenblätter-Kollegen dazu genossen - wo nicht: können Sie jederzeit nachholen, indem Sie auf der Startseite in die Suchzeile das Stichwort Husten oder Huster eingeben.

Kommen wir also jetzt ohne weiteren Umweg zum heutigen Thema unserer Musikstunde: dem Phänomen des Konzerthusters. Anne-Sophie Mutter und Lambert Orkis gastierten z.B. Anfang Juni vorigen Jahres im Festspielhaus Baden-Baden mit den Sonaten für Violine und Klavier von W.A. Mozart. Alles wunderbar, alles vom Schönsten, hat doch Frau Mutter von der Entdeckung der Demut geredet, die sie Mozart verdanke und wer sie heute Mozart spielen hört, stimmt ihr zu, sogar die Kritiker, also erstmal ein großer Chapeau für diese großartige Musikerin. Nun steht sie also in Baden-Baden und fängt die e-moll Sonate an. Das ist die einzige Violinsonate in moll, Mozart hat sie nach dem Tode seiner Mutter geschrieben, sie ist eines der großen Meisterwerke der Kammermusik. Und was ist: die Badischen feiern eine Hustenorgie, die sich gewaschen hat. Das ist ja der Todfeind der Künstler: Husten. Die Reaktionen drauf sind unterschiedlich: Andras Schiff hört dann schon mal auf, Alfred Brendel ebenso oder schreibt ein Gedicht drüber, Thomas Quasthoff droht aufzuhören und auch die Veranstalter sind oft genug ratlos. Franz Xaver Ohnesorg hat in der Philharmonie in Köln nicht genannt werden wollende schweizerische Hustenbonbons verteilt, was zwar dazu geführt hat, daß man weniger Husten hörte, dafür aber mehr Bonbonauswickelgeräusche, was letztlich genau so schlimm ist. Nach dem Konzert äußerte sich in einem Interview der Intendant des Festspielhauses in Baden-Baden, Andreas Mölich-Zebhauser, zum Thema des Tages wie folgt:
 
Frage: Hustet Ihr Publikum mehr als andernorts?
Antwort: Nein. Ich komme viel herum und höre da keinen Unterschied.
Frage: Was sind Ihre Lösungsvorschläge?
Antwort: Wir empfehlen schon im Programm den Gebrauch dämpfender Stofftaschentücher. Die Ausgabe von Hustenbonbons kann weitere störende Geräusche mit sich bringen. Derzeit bin ich im Gespräch mit anderen europäischen Intendanten-Kollegen, die auch nach Antworten auf diese Frage suchen.
 
Soweit der Intendant. Schauen wir uns diese Vorschläge mal an: ich habe hier
1. ein Stofftaschentuch
2. ein Papiertaschentuch, bei Musik besonders wichtig, weil es auch gleichzeitig das Tempo vorgibt (hasse mal ‚n Tempo? Ja sicher: eins, zwei, eins zwei drei vier...)
3. ein Hustenbonbon
a) Zunächst der Original-Huster
b) Jetzt die gedämpften Versionen
 
Wir hören: das Stofftaschentuch isses, noch besser wäre ein Kissen, das hört sich dann so an. (Die Geräuschkulisse müssen Sie sich jetzt denken, liebe Leser – oder noch besser: simulieren Sie das zu Hause mit dem erwähnten Hilfsmittel selbst.)
Also: ab sofort sollten überall Sitz- und Hustenkissen ausgegeben werden, was den doppelten Effekt hätte, daß man sie als Zeichen der Anerkennung auf das Podium oder die Bühne werfen könnte, hätte ja auch was.
Frau Mutter hat, charmant natürlich, wie könnte sie auch anders, an die Disziplin appelliert: sie wandte sich nach dem ersten Satz ans Publikum und sagte: „Diese Musik kommt aus der Stille und dazu brauchen wir Ihre Mithilfe“. Was mit beifälligem – Husten honoriert wurde.

Also: das Husten hörte nicht auf. Nun gibt es da ja die Einstellung, daß keiner huste, wenn er wirklich von dem, was auf der Bühne oder auf dem Konzertpodium passiert, gefesselt ist. Dazu sagt der ehemalige Psychologe in mir: sicherlich, da ist was dran. Der Mensch, der seit 29 Jahren auf der Bühne steht, sagt allerdings in rheinischer Klugheit: Man weiß es nicht. Zu viele Motive gibt es, die dem Husten förderlich sind. Manche sind so was von nachahmend: da braucht nur einer sich zu räuspern, da husten die schon so was von los. Manche husten aus musikalischen Gründen: immer, wenn ein verminderter Akkord erklingt, bellen die los: sie reagieren allergisch gegen die Verminderung des Mehrwerts. Manche husten, weil sie den Nachbarn ärgern wollen, der ihnen immer samstags die FAZ aus dem Briefkasten klaut, den sie aber noch nie in flagranti stellen konnten. Manche allerdings husten intentional, also mit Absicht. Allerdings ist es mit der Kunst des Hustens nicht mehr weit her. Im Zeitalter der Claque, also der bezahlten Störer bzw. Hochjubler in einer Oper oder einem Konzert, war die Kunst des Störens zur Höchstform entwickelt.

Da gab es die Asthma-Huster, sie wurden eingesetzt, wenn eine Sängerin in einer Pianissimo-Stelle vernichtet werden sollte.
Es gab die Röhr-Huster, die den Heldentenor, von dem sie wußten, daß der nicht so schnell aufgibt, einfach akustisch fertigmachten, indem sie lauter husteten als er singen konnte.
Es gab die bösartigen Räusperer, die immer dann einsetzten, wenn die Primadonna oder der Tenor zum Luftholen ansetzten. Wir wissen: der Kehlkopf wird von ca. 1300 Muskeln betrieben, da sind natürlich immer welche dazwischen, die keine Lust haben und solche Geräusche sofort als Anregung aufnehmen, zu streiken. Das heißt: es bringt den Sänger unbewußt schon auf andere, negative und schädliche Gedanken, wenn beim Luftholen sich da einer räuspert. Das ist vergleichbar mit dem Biß in die Zitrone vor dem Trompetenspieler.
Am übelsten waren in der Claque aber die sardonischen Grinser, sie waren Spezialisten und als solche hoch angesehen. Sie wurden überwiegend dann eingesetzt, wenn es galt, einen Instrumentalisten fertig zu machen, z.B. einen Geiger. An einer passenden Stelle eingesetzt, konnte der Sardoniker zur Universalwaffe werden. Beispiel: Beethoven Violinkonzert. Das Orchester spielt die - lange - Einleitung, der Solist steht da und schaut mehr oder weniger konzentriert in die Luft oder ins Publikum und versucht, einen intensiv-musikalischen Eindruck zu erwecken. Gleich kommt die Stelle, wo er einsetzt: wir wissen: mit dem Oktav-Arpeggio vom tiefen a angefangen nach oben, leise, verhalten, wunderschön. Der Solist hebt die Geige an den Hals und just in diesem Moment setzt der Sardoniker ein.
Grauenhaft aber hoch effektiv.

Gut, soweit die Profis. Tatsache ist, daß gegen diese Störungen, wodurch sie auch immer motiviert sein mögen, kein Kraut gewachsen ist.  Und: es hat es immer schon gegeben. Am 18. Februar 1892 zum Beispiel, hat die Königliche Hoftheater-Intendanz in München eine Zisch-Verordnung erlassen:
„Seit geraumer Zeit ist bei den Vorstellungen im Kgl. Hoftheater das Zischen zur förmlichen Gewohnheit geworden. Ob nun dasselbe als eine Opposition gegen den laut gewordenen Beifall für die künstlerische Leistung oder als Abwehr eines an unpassender Stelle angebrachten störenden Beifalls aufgefaßt werden mag – auf alle Fälle ist dasselbe des Kgl. Hauses unwürdig und für die Künstler verletzend, weil die Intention des Zischens nicht erkannt werden kann. Es wird daher um Unterlassung ersucht, an dessen Stelle das ebenso beredte und nicht verletzende Schweigen am Platze sein dürfte.“
Ich bin sicher: geholfen hat´s nix!
 
Manchmal hilfts ja, wenn man brachial dazwischengeht, was Musikern allerdings nicht immer so liegt. Der große Fritz Kortner hat das einmal getan, bei einer Aufführung vom Schillerschen Wilhelm Tell, bei der er den Landvogt Geßler gab. Die Inszenierung kam wohl nicht ganz so an, es gab schon bei den ersten Bildern Getöse, Lärm, Heiterkeit, kurz: das Publikum wurde unruhig, dann lauter und lauter und drohte, die ganze Premiere zu kippen. Da stürme Kortner auf die Bühne, stellte sich direkt an die Rampe und schrie seinen ersten Satz ins Volk: „Treibt sie auseinander!“ Und augenblicklich duckte sich alles und war ruhig! Aber, mal ehrlich, kann man das Frau Anne-Sophie Mutter empfehlen? Dann doch lieber der beleidigte Abgang oder – einfach weiterspielen.

Ungestörtes Hörvergnügen bei Ihrem nächsten Konzert wünscht Ihnen von Herzen und solidarisch

Ihr
Konrad Beikircher



© Konrad Beikircher - Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2009
Redaktion: Frank Becker