Ein Buch wie das Leben

Johannes Groschupf - "Hinterhofhelden"

von Frank Becker und Robert Sernatini
Sehn´se det is Berlin!

Neukölln beginnt am Hermannplatz. Mit diesem lakonischen, grandiosen kleinen Satz beginnt Johannes Groschupf (kein Berliner!) sein empfindsames Portrait eines Berliner Stadtteils der kleinen Leute: „Hinterhofhelden". Hans Odefey kommt Anfang der 80er Jahre vom norddeutschen Land zum Studieren nach Berlin. Eine Wohnung findet er wie viele Studenten zu dieser Zeit in einer Ecke, die viel für Berlin Typisches hat - was nicht immer unbedingt anheimelnd sein muß, aber eben Berlin ist. Neukölln. Mit O-Tönen. Hinterhof, 4. Stock, Klo auf halber Treppe, Klopfstange und Müllkästen im Hof, Dielen ochsenblutrot. Es gibt das ganze Personal des kleinbürgerlichen Berlin, Stammkneipe "Ambrosius", BVGlern, dem miesepetrigen, stets übel gelaunten bulligen Hauswart Pilarski, dessen blondierter Gattin mit großem Herzen und erotischer Überzeugungskraft. Und eben aus dem unerschöpflichen Vorrat der menschlichen dramatis personae Nachbarn jeder Haut- und Charakterfärbung.
 
Bei den zwielichtigen Trödlern Ralle und Duke entdeckt Odefey eine alte Minolta – und seine Liebe und sein Talent zur Fotografie. Aus dem Studium wird nichts, Odefey macht den Taxischein und lernt so noch mehr Seiten der großen Stadt Berlin kennen. Beim Ehepaar Lindner und dem verwahrlosten Jungen Bernd findet er Freundschaft und später, nach ebenfalls typischen Mietshausintrigen die Akzeptanz der Nachbarn. Auch eine (Meentje) und eine halbe (Susanne) Liebesgeschichte steckt mit drin. Der zweite Preis beim Wettbewerb um das beste Pressefoto bringt ihm Anerkennung – und üble Prügel ein. Denn BVG-Kontrolleuren tritt man nicht auf den Schlips. Und sonst: ein Boxkampf. Ein tragischer Tod. Säufer, eine fröhliche afrikanische Nutte und ein Gerichtvollzieher imt schlechtem Atem. Wer etwas über Berlin und seine Menschen erfahren und sich zugleich realistisch und wunderbar poetisch unterhalten möchte, ist mit diesem kleinen Roman bestens bedient.

Ein Buch wie das Leben, mal schön, mal traurig, mal brutal, mal versöhnlich.
Ein Entwicklungsroman in bester literarischer Tradition voller wunderbarer Melancholie. Man friert beim Lesen im Schneematsch mit, freut sich über die Sonnenstrahlen im Hinterhof, spürt die Wirkung der Biere im "Ambrosius" und hört den Teppichklopfer niedersausen. Ja man riecht sogar den Linoleum- und Dielengeruch der Berliner Hinterhäuser. Der Braunschweiger Groschupf schöpft, so scheint es, aus eigenen Erfahrungen, denn hinter (oder in) seinem Protagonisten steckt eine Menge von ihm selbst - verrät seine Biographie. Aba eins, Herr Jroschupf: in Berlin heeßt det "Taxe" und nich "Taxi"!
Beispielbild

Johannes Groschupf
"Hinterhofhelden",
 
© 2009 Eichborn Berlin,
 
218 Seiten, gebunden, mit ill. Schutzumschlag,
19,95 € 
 
Weitere Informationen unter: www.eichborn.de