Musikstunde

Die Wahrheit über Paul Potts - oder: Das Ende aller Illusion

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker

Musikstunde


Tut schon weh, aber sie muß ja mal gesagt werden:
Die Wahrheit über Paul Potts

Guten Tag, liebe Musenblätter-Leser, liebe Freunde meiner musikalischen Plaudereien! Vorige Woche versprach ich leichtsinnigerweise, Ihnen einige Illusionen über das Lieblingskind der Telekom-Werbung 2008/09 zu nehmen. Aber: da müssen wir jetzt durch! 


Och, und jetzt ist doch alles wieder mal nicht wahr und wieder einmal sind wir um ein Gefühl betrogen worden, das wir und zwar gerne einem vom Leben geknechteten Underdog entgegengebracht haben, als er sich einmal, einmal in seinem Leben, emporschwingen konnte. Natürlich spreche ich von Paul Potts und dem Wunder vom 9. Juni 2007. An diesem Abend stieg die britische Casting-Show „Britain’s got talent“, das englische „Deutschland sucht den Superstar“. Paul Potts betritt die Bühne, ein armer Schlucker, ein Underdog. Wir erfahren, daß er im Supermarkt Regale einräumte und als Handyverkäufer sein Leben fristet. 2003 erleidet er einen Blinddarmdurchbruch und ab da geht’s erst richtig los: im Krankenhaus wird ein Tumor an der Niere geortet und operiert. Kaum entlassen stürzt er vom Fahrrad und bricht sich das Schlüsselbein. Und jetzt steht dieser Pechvogel vor uns, er und wir wissen: das ist seine letzte Chance, aus diesem verpfuschten Lebens etwas zu machen. Was will er singen? „Ich will Oper singen“. Und dann singt dieser Pummel ohne jede Gesangsausbildung, das reine Naturtalent also, im zu weit geschnittenen Smoking mit Frackhemd und Frackfliege und den schiefen Zähnen „Nessun dorma“ aus der Turandot vom Puccini und es passiert das Wunder: plötzlich hält alles inne, schluckt und bei den letzten Tönen sind sie alle zu Tränen gerührt. Es braust ein ungeheurer Jubel auf und das heißt: Platz 1, Sieger, 100.000 € schon mal so in die Tasche und einen Plattenvertrag bei der Sony in Höhe von 1 Million Pfund! Und das Ganze dann noch mal als Werbespot für die Telekom, bis zum Erbrechen bei jeder (und das sind viele!) Werbepause im Kommerz-Fernsehen zu sehen. Und selbst da kommen uns noch mal die Tränen, so sehr geht es einem ins und ans Herz, dieses Aschenpummelchen. Und jetzt das: alles gelogen, alles Fake, laß es stecken, dein Taschentuch, es lohnt nicht:
Es war nämlich alles anders: er hat 1999 schon mal eine Talentshow gewonnen, nachdem er in Karaoke-Wettbewerben als Luciano Pavarotti verkleidet erste Erfolge gesammelt hatte. Mit diesem Geld machte er eine professionelle Gesangsausbildung in Italien unter anderem bei Vilma Vernocchi und Katia Ricciarelli. Von 1999 bis 2003 trat er in sechs Inszenierung der Opera of Bath auf, 2003 hat er einen Auftritt mit dem Royal Philharmonic Orchestra – auch nicht gerade die letzte Kirmeskapelle. Ach nee, Kinder, das tut einem dann doch ein bißchen weh, oder? Wo du hinguckst: Lüge! Ob das die Freude der SPD über die Rückkehr Münteferings ist (von seiner knapp volljährigen neuen Flamme wollen wir jetzt mal überhaupt nicht reden) oder die Unschuld des Tenors. Ade, du schnöde Welt, ade! Übrigens: ebenso wie von den Aktien-Schwindel-Spots mit Manfred Krug hat sich die Telekom jetzt von Paulchen P. getrennt. Schadensbegrenzung - denken die.
 
Ihr/Euer geprellter
Konrad Beikircher



© Konrad Beikircher - Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2009

Redaktion: Frank Becker