Musikstunde
Otello und Sichtweisen
Guten Tag, liebe Musenblätter-Leser und liebe Kollegen der schreibenden Zunft. Verdis Otello ist heute im Angebot - der, den Hilsdorf vor zwei Jahren in Bonn zum Meucheln quasi mit dem Plumeau ausgestattet hat - oder mit Eiderdaunen, wer weiß das schon so genau...
Otello! In Bonn hat Hilsdorf also vor zwei Jahren einen Otello inszeniert und damit eine Reihe fortgesetzt, die sich der Intendant Klaus Weise weiland als einen weiteren Erfolg eines extrem erfolgreichen Opernjahrs ans Revers stecken konnte. Allerdings warf die Inszenierung eine grundsätzliche Frage auf, nämlich die, ob eine Inszenierung so stark in den Handlungsablauf eingreifen darf, daß sie den Text des Stückes Lügen straft.
Desdemona wurde in Bonn von Otello mit dem Kissen erstickt. Amfürsich eine einfühlsame Tötungsart, vor allen Dingen, wenn der Mörder die ästhetische Integrität des Gesichts bewahren will, wenn er also will, daß die Schöne auch nach dem Tod noch schön aussieht. Alles schön und gut, zumal es uns als Publikum auch das Herumgefummel mit dem Dolch erspart – nicht immer klappt das so, daß es einigermaßen wahrscheinlich aussieht. Gut. Sie wird also erstickt, was ja auch eine extrem dekorative Art des Tötens ist, muß man schon sagen: mit großer Bewegung holt sich Otello das Kissen und drückt es seiner Angebeteten auf das Gesicht. Ich persönlich fand es unangemessen, was die sängerische Leistung von Frau Irina Oknina anging, denn die war makellos und so jemanden erstickt man nicht, mag das Kissen noch so schön sein. Nun muß aber kurz darauf Otello Emilien die Tür öffnen und auf deren Frage „Wer war’s?“ muß Desdemona singen: „io stessa – ich selbst!“. Das ist natürlich grenzwertig: also die Nummer mit dem Kissen ist schon von so manchem versucht worden, der einen leisen Suizid anstrebte, geklappt hat es aber seit Bestehen der Menschheit noch nicht. Da wäre der Dolch denn doch straftatenlogischer gewesen. Nun gut, das ist allerdings mein einziger Kritikpunkt, denn die Aufführung und überhaupt die Gestaltung und Inszenierung des Werks sind auf – fast – einhellige Zustimmung gestoßen.
Alle, auch die Kritiker, die an der Inszenierung kein gutes Haar lassen, alle waren sie von den Stimmen begeistert und von der musikalischen Interpretation durch Herrn Kofmann am Pult und die Damen und Herren des Beethoven-Orchesters Bonn. Die haben sich aber auch alle miteinander die Arme vom Körper gerudert, daß es eine Freude war. Desgleichen der Bonner Chor – da ist man ja schon gewöhnt, in Superlativen zu reden, aber mich freut es immer wieder ganz enorm, nein, mehr: es macht mich glücklich, einen so präzisen Opernchor zu hören, weil: es ist nicht die Regel. Was da oft an Quintenschaukeln auf der Bühne steht hat mit der Unmittelbarkeit des Gesanges nicht mehr viel zu tun. Nicht aber in Bonn. Jawoll! Nun muß man allerdings auch sagen: das ist ja Sturm, am Anfang der Oper, und Wasser ze basch „stürmisch die Nacht, die See geht hoch“ heißt es im großartigen „Seemannslos“, einem der Hits des 19. Jahrhunderts, und mit Wasser, also jetzt mehr mit Hochwasser, kennen sich die Bonner aus, von daher nimmt es nicht wunder, daß ausgerechnet dieser Chor so authentisch ausfiel. Kostadin Andreev hat vielleicht ein wenig zu lyrisch angefangen, das „Esultate“ war mehr ein Einsingen als eine Explosion (wie ich persönlich mal bemerken darf) aber da habe ich jede Art von Verständnis dafür, wenn es einer etwas ruhig angehen läßt, weil: der Otello ist eine Höllenpartie und er hat ja noch die Arie mit den leisen hohen A’s vor sich, was er meisterhaft bewältigte, also da gibt’s nix! Und alle Kritiker waren von Mikael Babajanyans Jago begeistert – ein grandioses Rollendebüt, da sind sich alle einig. Wenn man jetzt noch wußte, daß er den Jago alternierend zum Don Giovanni gab, konnte man nur noch weanerisch sagen: „Seawas!“ und sich im Stillen fragen, wie lang das noch gut gehen mochte. Angesichts solch einer dramatisch tollen und überzeugenden Leistung – nicht nur sängerisch sondern auch in der Gestaltung der Figur – habe ich ihm alle Daumen jedrückt, die ich habe. Et hat ja auch jeklappt.
Sein Credo, bemerkte der Generalanzeiger, wirkte geradezu beängstigend. Ein großer Erfolg damals für die Oper Bonn, nicht aber in den Augen von Herrn Bilsing in der Zeitschrift „Der Opernfreund“. Er kam damals mit einer Rüge daher, die schon eher grundsätzlich war. Ich zitiere: „Leider werden diese Bretter (man bedenke, daß Bonn vor Jahren einmal eines der Spitzenhäuser Deutschlands war, an dem sich Weltstars wie Placido Domingo, Pavarotti und Co. die Klinke in die Hand gaben!) zur Zeit von der Sparpolitik Bonns kleinkarierter Haushaltsstrategen kräftig angesägt. Nachdem man schon das Ballett kaputtgespart hat, soll in den nächsten Jahren von der Politik die großartige Bühne der ehemaligen Landeshauptstadt zurück in die provinzielle Theatersteinzeit befördert werden.“
Ja hallo, der haut aber drauf und ist doch undifferenziert. Daß Sparen weh tut, ist klar, uns in Bonn tut es ja auch weh. Nur: damals war Bonn Bundeshauptstadt und da ist ein Geld in die Oper geschaufelt worden, daß heute noch das Dach nachscheppert! Es wurden Stars über Stars geholt und dabei hat es schon oft weh getan, wenn Frau Ricciarelli eine Himmelsleiter nach der anderen rauf- und runterkletterte und dabei das Hausensemble zwangsläufig so deklassierte, daß man nur noch hörte, was die hat und den unseren fehlt. Das waren dann wahrlich nicht immer die gelungensten Aufführungen. Mir ist da das, was wir – musikalisch gesehen – in jener Spielzeit beim Orfeo e Euridice, bei der Traviata, beim Rosenkavalier, bei der Lucia di Lammermoor oder eben hier bei diesem hinreißenden Otello erleben konnten, nämlich phantastische Ensemble-Leistungen, hohes Niveau von Aufführungen aufgrund homogener Leistungen auf der Bühne und im Orchestergraben, zehnmal lieber als das Startheater, das ein Ensemble lediglich als Podest für den jeweiligen Star nutzt. So ist es Unsere Oper in Unserer Stadt und die Netrebko bleibt in der CD-Box.
Eine gelungene Ensemble-Leistung mag nicht immer auf Netrebko-Ebene sein, aber dem Werk allemal dienlicher als der ganze Starrummel. Deshalb regen mich solche Anspielungen an die angeblich sooo tolle goldene Zeit immer auf. So, lieber Kollege Bilsing, ich wollt et nur mal losjeworden sein. Ewwer nix für unjut.
Ihr
Konrad Beikircher
© Konrad Beikircher - Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2009
Redaktion: Frank Becker |