Über den Kühlschrank

von Erwin Grosche

Foto © Harald Morsch
Über den Kühlschrank
 
(Der Vortragende hat einen weißen Anzug an,
der beim Öffnen der Jacke Kühlschrankprodukte
in allen Innenta­schen freigibt.)

Manchmal gehe ich einfach zu meinem Kühlschrank, reiße die Tür auf und gucke, ob noch alle da sind.
»Was ist los, Milch, schon wieder sauer?«
Der Kühlschrank ist ein Mysterium. Obwohl man ihn selbst füllt, starrt man doch in ihn hinein, als müßte er uns stets mit seinem Inhalt überraschen. Ich bin jedesmal überrascht, wie gut mein Kühlschrank ausgeleuchtet ist. Ich habe schon auf Bühnen gespielt, da sah man mich nicht und mußte mich suchen. Warum geht eigentlich beim Zu­werfen unserer Haustür nicht alles Licht im Hause aus. Das könnten wir von unserem Kühlschrank lernen, auch daß das Licht angeht, wenn wir nach Hause kommen, und daß dort, wenn wir die Tür öffnen, jemand sitzt, der für uns da ist.

Manche Dinge mit Verfallsdatum könnten länger exis­tieren, wenn sie im Kühlschrank wären. Aber ich meine, wer will das schon? Ich habe mich mal eine Zeit lang in Karlsruhe aufgehalten, da lief es mir den ganzen Tag kalt den Rücken herunter. O.K., ich hatte Arbeit, schuftete für Bofrost, hatte eine Freundin, eine Eistaucherin, aber den ganzen Tag immer von Kälte und Dunkelheit umgeben zu sein, brrrrr. Manchmal, wenn Besuch kam, die Tür auf­riß und einen von außen betrachtete, wurde es hell, und man bekam kurz einen Eindruck von dem, wo das Leben anderswo frühstückte.
Ich meine, ich habe mal einen ganzen Abend mit einem linksgedrehten Joghurt zugebracht, ich weiß, wovon ich rede. Haben Sie mal versucht, eine Butter zum Lachen zu bringen? Ich habe mal ein Iglo-Fischstäbchen-Puzzle zusammengesetzt, und es kam am Ende trotzdem dabei kein Fisch heraus. Oh nein, was erzähle ich wieder? Ich sag Ihnen was, es ist nicht immer schön, vor lauter Frieren seinen Pullover nicht angezogen zu bekommen und dies erst in Karlsruhe zu entdecken.
Ehrlich, es sollte Lebensmittel geben, die eigens für die Kühlschranklagerung gestaltet worden sind. Stellen Sie sich doch mal eine 1-Liter-Milchtüte neben einem kleinen Lö­wensenf-Glas vor, da stimmt doch was nicht. Da erleben Sie einfach Unterschiede, auch rein geschmacklich.

Manchmal denke ich, die Möglichkeit, mich in meinem Kühlschrank umzubringen, habe ich schon als Dreijähriger verpaßt. Aber im Kühlschrank herrschen andere Gesetze. Ich wundere mich auch, daß der Salat im Kühlschrank so aufblüht. Der hält sich im Kühlschrank, dabei ist er längst tot. Das einzige, was ihn noch scheinbar am Leben hält, ist sein nicht stattfindender Verwesungsprozeß.
Seit gestern geht in meinem Kühlschrank das Licht nicht mehr. Ich habe den Verdacht, der Emmentaler will nicht, daß ich bemerke, er ist längst abgelaufen. Ich bin mir sicher, daß die meisten der Typen, die in meinem Kühlschrank hausen, ihre beste Zeit schon hinter sich haben und nur nicht wissen, wo ihr Zuhause ist.
Daß alle im Kühlschrank so gut miteinander auskom­men - Milchprodukte, Tiefkühlkost und Gemüse, liegt nur daran: der Mensch kommt sich eher näher, wenn er friert. Erst in der gemeinsamen Not entdeckt der Mensch, wie sehr er sich braucht.


© Erwin Grosche - Veröffentlichung aus dem Band "Warmduscher-Report" mit freundlicher Genehmigung

Weitere Informationen unter: 
www.erwingrosche.de und www.ardey-verlag.de