Manipuliert

Jonathan Barnes - "Das Könighaus der Monster"

von Jürgen Kasten
Das Monster in uns allen

Tja, da sitze ich nun vor dem leeren Bildschirm und schaue zu, wie meine Ratlosigkeit die Zeilen füllt. Es ist schwer, in wenigen Sätzen die komplexe Handlung zusammenzufassen. Der deutsche Titel sollte vielleicht besser „Die Monster des Königshauses“ heißen, denn Jonathan Barnes zeichnet die Mitglieder der britischen königlichen Familie so, wie sie uns die Boulevardpresse vorenthält: respektlos, irrsinnig, drogenabhängig. Einem überirdischen Wesen haben sie sich verschrieben, einzig zu ihrem eigenen Machterhalt. Als Gegenleistung wollen sie dafür London opfern, mit allen Menschen darin. Die mysteriöse Miss Morning deutet dem Icherzähler an, was ihm bevorsteht: „Ich bezweifle, daß das Offenlegen der entsetzlichen Wahrheit über das Haus Windsor – seiner irrsinnigen Niedertracht und heimlichen Gelüste – irgendeinem anderen Zweck dienen könnte, als ihre nächtlichen Albträume mit kalten, unermesslichem Grauen zu durchdringen.“

Henry Lamb, die zentrale Figur, heißt nicht nur so, er ist auch unschuldig wie ein Lamm. Unbedarft stolpert er durchs Leben. Seine Welt befindet sich in einem verstaubten Büro, in dem er als Archivar arbeitet; seine untergemietete Wohnung, in der er die schöne Vermieterin Abbey anhimmelt (heimlich); und das Krankenhaus, in dem sein Großvater (der alte Lumpensack) im Koma liegt. Diese Welt verändert sich jedoch rasant. Spätestens dann, als er dem unheimlichen Chef des geheimnisvollen „Direktoriums“ gegenüber steht. „Domino Men“ ist der Originaltitel. Er trifft den Kern der Geschichte besser. Konkurrierende Mächte benutzen Menschen wie Spielsteine. Bei Bedarf werden sie umgestoßen, lösen eine Lawine aus und einer nach dem anderen wird ins Verderben mitgerissen. Zu den bedauernswert Manipulierten gehören Henry Lamb und Prinz Arthur, der kommende König. Im Gegensatz zu Henry kann der sich selber retten. Henry endet jedoch in ewiger Kindheit, gefangen im Geschwafel einer Sitcom, in der er als Bub mitspielte.
 
Ach übrigens, hier handelt es sich um einen Fantasyroman, und zwar „den besten phantastischen Roman des Jahres!“, behauptet eine amerikanische Zeitschrift. Ich kenne nicht alle Neuerscheinungen und kann das deshalb nicht kommentieren. Überdies hege ich den Verdacht, daß der Autor die Fantasy als Vehikel benutzt, um dem englischen Königshaus mal so richtig eins auszuwischen. Unverkennbar werden Prinz Charles, Prinzessin Diana und die Königin charakterisiert, egal welche Phantasienamen sie in dem Buch haben. Nein – Jonathan Barnes ist beileibe kein Royalist, wie sonst könnte er der Königin solche Sätze in den Mund legen: „Deine Frau erwartet ein Kind. Ich bedaure, aber der Gedanke war mir unerträglich, daß irgendeiner meiner Nachkommen von dieser verlogenen Schlampe zur Welt gebracht werden soll.“
 
Barnes würde so etwas natürlich nie selber über Diana schreiben. Deshalb bedient er sich eines Tricks. Er behauptet, ein Unbekannter habe ihm ein Manuskript auf die Türschwelle gelegt. Es ist die Geschichte Henry Lambs, der schließlich London gerettet hat und daher veröffentlich werden muß. Zum anderen schleicht sich aber ein mysteriöser Schreiber ungefragt in das Manuskript ein. Der bezichtigt Henry Lamb der Lüge und Geschichtsfälschung und sieht sich daher gezwungen zu berichten, wie es in Wahrheit am Hofe der Windsors zugeht. Und das ist gar nicht schmeichelhaft für die königliche Familie. Auch das gemeine Volk verhält sich nicht gerade rational. Man weiß nicht so recht, um was es eigentlich geht. Jonathan Barnes baut unerhörte Spannung auf, wortgewaltig, mit Sarkasmus und schwarzem Humor, wie ihn wohl nur Engländer hervorbringen können. Dazu Dialoge, die einfach köstlich sind und den Charakteren Leben einhauchen. Die Ankunft eines imaginären Monsters zelebriert er wie die eines zu erwartenden Heilsbringers, einer neuen Gottheit. Die Londoner fiebern ihm entgegen, nicht wissend, daß er ihre Emotionen, ihre Gedanken, ihre Seelen aussaugen wird, willenlose Hüllen zurücklassend. Nicht minder neugierig wartet der Leser und muß sich lange gedulden.
 
Als dieses Monster dann endlich in Erscheinung tritt, bin ich etwas enttäuscht. Da scheint dem Autor zum Schluß die Phantasie ausgegangen zu sein. Es hindert mich jedoch nicht, diesen furiosen Roman weiter zu empfehlen. Für sein Genre ist er sicherlich ungewöhnlich, fast eine Parabel, denn die wahren Monster lauern in uns allen. Es braucht nur einen Anstoß, einen falschen Freund oder eine vermeintlich integere Institution, die vorgeblich zum Wohle des Staates arbeitet, um dieses Monster freizusetzen. Der Mensch an sich ist leichtgläubig und einfach zu manipulieren. Das in eine solch spannende und unterhaltsame Geschichte zu transportieren, ist dem Autor Jonathan Barnes, der in Oxford englische Literatur studierte, vollendet gelungen. In einem Rutsch gelesen!
Beispielbild


Jonathan Barnes
Das Könighaus der Monster
 
Aus dem Englischen von Biggy Winter
 
© 2009 Piper Verlag GmbH, München
 
400 Seiten, Gebunden mit Schutzumschlag,
ISBN:  978-3-492-70176-1
€ 19,95 (D), Chf 35,90 (SFr)
 
Weitere Informationen:
www.piper-fantasy.de