KlangArt - Musik als Kunst des Raums

Rob Brown und Dietrich Rauschtenberger

von Heiner Bontrup

Rob Brown - Foto © Karl-Heinz Krauskopf
Musik als Kunst des Raums
 
Rob Brown und Dietrich Rauschtenberger
 

Der Saxophonist Rob Brown kommt aus New York, was ziemlich weit weg liegt von Nepal und dem Himalaya. Dennoch erinnert der Avantgarde-Musiker an einen postmodernen schlanken Buddha – einer mit einem schmalen schönen Gesicht. Sein Spiel kommt nicht aus der Ekstase und mündet nicht dort. Seine Spiritualität und Inspiration speist sich aus anderen Quellen. Mit beiden Beinen steht er auf dem Boden, als wurzele er dort und bezöge von dorther seine Energie. Unermüdlich stößt er Ton um Ton aus seinem Instrument, schichtet Klangkaskaden, schafft einen Klangzeit-Raum, in den hinein er seine musikalischen Einfälle und Motive plaziert.
 
Doch hier und heute ist manches anders. Der gläserne Kubus im Skulpturenpark zwingt den Saxophonisten, sein Spiel den Bedingungen und Möglichkeiten des Raumes anzupassen. Die schnellen und  starken und intensiven Tonstöße würden wie in einem akustischen Zerrspiegel bis zur Unwahrnehmbarkeit multipliziert; die Töne sich selbst überholen, bis unklar würde, was Ton, was Echo ist: eine auditive Ursuppe.
 
Der Beginn des zweiten Sets nach der Pause. Dämmerung hat sich über den Park gelegt. Noch kann man die Bäume im Park hinter dem Glasriegel sehen. Es ist ein Licht zwischen nicht-mehr-hell und noch-nicht-dunkel, ein kalter und feuchter Frühabend im Februar. Die gläsernen Wände trennen nur halb zwischen einem Innen und Außen, zwischen Kunst- und Naturraum.
 
Rob Brown steht im goldenen Schnitt des Raums, still und in sich ruhend schickt er die ersten Töne aus dem abgewetzten Altsaxophon nach oben: kehlig und bauchig, warm und voll. Der Raum hat Rob Brown in einen akribischen Tonforscher verwandelt. Er schickt seine Töne hoch zum Dach, von dort kehren sie zu ihm zurück, eine unsichtbare, aber hörbare Klangstele steht im goldenen Schnitt des Raumes, eine vertikales Rohr, in dem der Musiker die Töne nun steigen und fallen läßt, Klangbälle im Raum zirkulierend.
 
Später wird er dieses Kunststück variieren. Er verleiht seinen Tönen Kraft und Intensität, sodaß sich am Ende der Raumdiagonalen im Glashaus ein weiterer Klangraum bildet, aus dem mal ein Echo, mal nach ein schwebender Nachhall kommt, mit dem Rob Brown dann spielt. So verwandelt er Klang in Raum, Zeitkunst in Raumkunst. „Selbst in den Momenten der objektiven Stille war subjektiv eine Resonanz, ein Nachschwingen spürbar“, wird später ein Konzertbesucher sagen.
 
Vor der Längsseite des Glaskubus steht das Schlagwerk, das hier an diesem Ort selbst wie eine Skulptur wirkt. An einer Stange hängen große bronzene Tamtams sowie die kleineren Gongs. Ebenso Chimes, stählerne Stäbe, die flirrende Töne erzeugen. Vor dem Schlagwerk steht das Drumset, die Trommeln und Becken des Schlagzeugs. Auf dem Boden liegen eine Vielzahl von Rasseln, Kalebassen und weiteren Klangspielzeugen. Rechts daneben die hüfthohe, in der Breite raumgreifende Skulptur des Bildhauers Eduardo Chillida. Über dessen Arbeiten sagt Tony Cragg: „Er drückt in den härtesten Materialien seine Achtung und seine Bewunderung vor den Elementen und den besten Eigenschaften des Menschen aus.“ Der graue winterliche Nachmittag legt nun ein diffuses Licht über die Dinge des Raums.
 
Dietrich Rauschtenberger eröffnet das erste Set. Wie mit einem Stift fährt er mit einem der Chimes über das große Becken des Tamtam, ein zischendes Geräusch entsteht, wie ein Schmerz, der plötzlich in die Seele fährt. Dann folgt eine Melodie auf den kleineren Gongs, nach dem Anschlagen will der Ton nach oben wegrutschen, doch sein Fundament bleibt: eine Art Wimmern, in der Heilung liegen könnte. Wir sind in einem buddhistischen Tempel und das Schlagwerk erzählt noch einmal die Schöpfungsgeschichte. Die großen Tamtams erzeugen eine Resonanz in unserem Brustraum, einen Nachhall der Seinsgeschichte. Aber in Wahrheit sind wir ja nicht in einem buddhistischen Tempel und sondern an einem Ort des Kunstschönen, und als Kinder der Nachmoderne können wir nicht zurückkehren in eine mythische Zeit vor unserer Zeit. Unvermittelt reißt uns Rauschtenberger aus solchen esoterischen Stimmungen. Aus einer Dose kommt durch Umdrehen ein Mähen und Muhen, Melodien erklingen vom Kinder-Xylophon. Wir kehren zurück in die Zeit der Kindheit, in die Zeit, als alle Dinge noch nicht waren, was sie sind, sondern „Readymades“, Instrumente, gemacht, darauf Musik zu machen. Rauschtenberger bewegt sich mit seinem Spiel entlang einer feinen und hauchdünnen Grenzlinie der Ironie.
 
Wenn Swing eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung für Jazz ist, dann ist es an diesem späten Nachmittag und frühen Abend nur sehr selten Jazz. Einmal – im ersten Set vor der Pause - treibt Rauschtenberger mit seinem Schlagzeug Rob Brown vor sich her, genauer dieser läßt sich treiben. Doch selten geben die Musiker dem Affen solchen Zucker.
 
Wenn es nicht Jazz ist, was ist es dann für eine Musik? In ihrem musikalischen Dialog loten Schlagwerk und Saxophon ihre Klangspektren aus, verschmelzen und trennen sich wieder voneinander. Sie spielen einzeln und getrennt und miteinander. Rob Brown tritt in die Zirkularatmung ein, setzt sein Instrument perkussiv ein, spielt ein eine kleine Ewigkeit andauerndes Ostinato, über das Rauschtenberger auf dem Schlagwerk seinen musikalischen Eingebungen folgen kann.
 
In die Dämmerung hinein fallen zarte Schneeflocken. Es ist, als ob der alte Gott des Jazz weinen

Dietrich Rauschtenberger / Rob Brown - Foto © Karl-Heinz Krauskopf
würde. Weil er Abschied nehmen muß von seinem Jahrhundert? Oder vor Freude, weil Leben Wandel und Veränderung bedeutet und weil hier eine neue Musik aus seinem Geist, aus dem Geist des Jazz, entstanden ist? Eine Musik, die sich im Augenblick des Spiels stets neu erfindet und
von der Spontaneität, dem Dialog und der Offenheit ihrer Protagonisten lebt. Und damit das Scheitern als Möglichkeit mit einschließt, eine Möglichkeit, die dem Spiel Würde verleiht und so die besten Eigenschaften der Musiker sichtbar macht.
 
Hier und heute aber erleben wir eine Stunde des Gelingens, eine Stunde der geglückten Kommunikation: der Spielenden mit sich selbst und mit dem je anderen, mit dem Ort, seinem Geist und seinen akustischen Bedingungen: Musik als Begegnung von Raum und Zeit.


© Heiner Bontrup - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2009