Sphärische Dialoge

Jan Garbarek - "In Praise of Dreams"

von Frank Becker
Sphärische Dialoge – entrücktes Schweben
 
Er gehört zu den Flaggschiffen der stolzen Flotte des Münchner Labels ECM, dessen unverwechselbares Gesicht er seit seinem Debüt 1970 mit „Afric Pepperbird“ mit seiner traumhaft sphärischen, in der Ewigkeit verhallenden entrückten Musik mit geprägt hat. Der Norweger Jan Garbarek ist einer dieser ganz seltenen Sonderfälle, die wie ein Stern aufgehen, um dann den Platz am oberen Rand der Skala nicht wieder aufzugeben. Das mag vielleicht daran liegen, daß sich dieser Saxophonist nicht von beiden Enden her verbrennt, sondern die einmal entzündete Flamme sorgsam hütet. Seine Alben, seine gemeinsamen Aufnahmen mit John Taylor, Eberhard Weber, Rainer Brüninghaus, Bill Frisell, Kenny Wheeler, Ralph Towner, Keith Jarrett und dem Hilliard Ensemble (hier nur eine Auswahl) sind bereits legendär geworden, gehören zum Kanon des zeitgenössischen Jazz skandinavischer Prägung.
 
Sechs Jahre waren seit „Rites“ vergangen, Jan Garbareks bis  dahin letztem (Doppel-)Album bei ECM. Eine Jahre währende Welt-Tournee der Jan Gabarak Group ging 2004 zu Ende. Da war man schon neugierig auf das neue Produkt und ein bißchen voll der Sehnsucht, die auch in seiner Musik steckt. Als man „In Praise of Dreams“ dann endlich hatte, die Scheibe in den CD-Spieler eingelegt und sich zurückgelehnt hatte, war man mit dem ersten Ton von „As seen from above“ gefangen, nicht bereit, sich aus dem Sessel zu erheben, bis die Signale auf dem Display verlöschen und wirklich nichts mehr kommt. So ist das bis heute geblieben. Zwischen dem Druck auf „Play“ und dem letzten Ton liegen 52 Minuten und 30 Sekunden tiefster Empfindungen von allerhöchster Sensibilität und Reinheit. Garbarek geht mit seinen beiden kongenialen Begleitern eine Verbindung ein, die mehr als nur Übereinstimmung ist, nämlich Musik als philosophisches Instrument.
 
Hier kommen drei Charaktere zusammen, welche das Beste aus drei Kulturkreisen mitbringen: die in Detroit geborene armenisch-stämmige Bratschistin Kim Kashkashian, in den USA und Europa als Solistin gefragt und erfolgreich und nach einem Jahrzehnt in Deutschland wieder in den USA (Boston) wohnhaft, ist nicht zum ersten Mal auf einem ECM-Album zu hören. Hindemith, Brahms und (mit Keith Jarret) Bach hat sie aufgezeichnet, zudem eine Reihe für ECM New Series. Hier trifft sie sanft und geradezu körperlich auf Garbareks durchgeistigtes Spiel an den Saxophonen. Die Einheit geht unter die Haut wie die Musik - sämtlich Kompositionen Garbareks - ist Verführung zum Abdriften, Träumen, eine köstliche Droge. Sacht tritt der in Paris geborene afrikanische Schlagzeuger Manu Katché hinzu, gibt dem zauberhaften Klang ein kaum spürbares rhythmisches Gerüst. Auf den ECM-Alben „Twelve Moons“, „Visible World“ und „I Took Up the Runes“ spielte er bereits mit Garbarek zusammen. Daß sowohl für den Rhythmus wie auch für die Melodie Elektronik eingesetzt wird, verleiht dem Album einen ganz besonderen Touch der Entrücktheit, weil das so unendlich vorsichtig und delikat geschieht.
 
Aufbau und Ablauf von „In Praise of Dreams“ sind raffiniert – es ist ein immer tieferes Eintauchen in eine gläserne Welt der Ruhe, ein nicht antastbarer Hort des Findens zu sich selbst. Hier ist man so nah bei sich, daß man sich wieder fühlt. Die Wirkung steigert sich noch mit der Tageszeit: in der Dämmerung der Schritt aus der Welt – in der Nacht die Loslösung von allem Häßlichen. „In Praise of Dreams“ ist ein Gesamtkunstwerk, bei dem auch wieder auf die ECM Cover Art hingewiesen werden muß. Wenn ein Label es verstanden hat eine Corporate Identity zu erreichen, dann ECM.

Beispielbild


Jan Garbarek
In Praise of Dreams
 
Jan Garbarek - Saxophone, Synthesizer, Sampler, Percussion
Kim Kashkashian  - Viola
Manu Katché - Schlagzeug
 
Produziert von Manfred Eicher und Jan Garbarek
 
© 2004 ECM Records GmbH
ECM 1880 CD 9811068
 
Titel:
1. As seen from above 4:44
2. In praise of dreams 5:25
3. One goes there alone 5:09
4. Knot of place and time 6:27
5. If you go far enough 0:44
6. Scene from afar 5:19
7. Cloud of unknowing 5:26
8. Without visible sign 5:04
9. Iceburn 5:03
10. Conversation with a stone 4:25
11.
A tale begun 4:39

Gesamtzeit: 52:30

Weitere Informationen unter:
www.ecmrecords.com