Frühjahrsschnitt

Garten-Arkadien (2)

von Friederike Zelesko

Foto © Dieter Schütz / Pixelio
Frühjahrsschnitt


                   Er mühte sich mit den Beeten ab, zog an zwei Pflöcken eine lange Schnur, legte nacheinander zwei kleine Bretter aufs Beet, auf die er sich stellte. An der Schnur entlang zog er eine Rille für die Samen. Er besaß keine Särolle oder einen Rillenzieher vom Fachhandel. Er zog schnurgerade Saatrillen. Fast alle Gemüsesorten sind Dunkelkeimer. Aufmerksam las er die Anleitung auf den Samentütchen: Nie die Samen zu tief legen, sonst ersticken sie.
                 
          
Viel frische Luft tanken, hatte ihm der Arzt geraten. Das war vor zwei Jahren. Seine Spaziergänge führten ihn von Anfang an in den brachliegenden Schrebergarten, wurden dann immer häufiger. Zuerst zupfte er ziellos hier und da ein wenig am Unkraut herum. Spätestens beim Frühjahrsschnitt der Rosen merkte er, daß sich sein Zustand gebessert hatte. Auch an die fünf goldenen Schnittregeln, die ihn sein Vater lehrte, als er noch Kind war, erinnerte er sich: Erfrorene, abgestorbene und kranke Triebe bis ins gesunde Holz herausschneiden.
            Es kam ihm vor, als reagierte sein Körper auf jeden Schnitt. Je tiefer er schnitt, umso wohler fühlte er sich, erzählte er jedem, der es hören wollte. Er fing an, auch etwas für die Erde zu tun, mengte unter den sandigen Boden Ton und Kompost. Das machte ihn schwerer, schaffte ein gutes Bett für Wurzeln. Nach und nach nahm er sich die verunkrauteten Beete vor, griff zum Spaten, lockerte und formte sie. Dann trat er Wege mit dem Maß seiner Schuhe.


© Friederike Zelesko - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2009