Plauderstunde

Über Venedig und den Anfang vom Ende

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker

Konrad Beikircher
Plauderstunde

Über Venedig und den Anfang vom Ende
 

Tja, meine Damen und Herren, liebe Freunde meiner Plauderstunde: seit Jahrzehnten wird davon gesprochen, darüber diskutiert, das Menetekel Upharsin an die Wand geworfen und in den Putz gebrannt: Venedig wird untergehen. Und die Diskussionen sind umso lebhafter, je weniger man dran glaubt. Jetzt aber – nehmen Sie Ihre Hüte ab und vor allen Dingen diese ätzenden grauenhaften amerikanischen Blödmann-Käppis – jetzt aber ist es so weit. Ende September vorigen Jahres ist es passiert: ein Marmorblock des Dogenpalastes, 30 cm Kantenlänge und 30 kg schwer, hat sich gelöst, ist auf den Markusplatz gefallen, in tausend Splitter zersplittert und hat einen 65-jährigen deutschen Touristen verletzt. Die Regenfälle seien schuld, wird verlautbart, weil durch sie Wasser in die Mikrorisse der Fassade habe eindringen können, was zur Lösung des Blocks geführt habe. NEIN! Das war kein Zufall, keine paar Tropfen Regen zuviel und morgen isses wieder gut. Das war ein eindeutiges Zeichen: Venedig ist es leid!

Seit 100 Jahren mindestens, seit dem Einsturz des Campanile, heißt es, Venedig könne nicht auf Dauer standhalten: dem Nebel, den Fluten, den Touristen. Venedigs große Zeit ist seit Jahrhunderten vorbei: seit Sechzehnhundertundirgendwas der damalige Doge verboten hat, daß die Venezianerinnen all ihren Schmuck in schamloser Weise öffentlich zeigen dürfen, nahm das Ende, der Untergang seinen Lauf. Es gab noch ein paar Zuckungen: Lord Byron lebte hier, Richard Wagner wohnte im Palazzo Vendramin und hütete da seine reizvolle Damenunterwäschesammlung, Gabriele d’Annunzio riß ein paar Jüngelchen auf, das waren aber eher Zuckungen greisen Fleisches, nicht Manifestierungen unbändigen Lebens. Heute ist Venedig tot. Totgetrampelt von Abermillionen von Touristen aus aller Welt – die Chinesen sind die schnellsten, die Amis die schwersten - , totgesagt von depressiven Klimatologen und hysterischen Karnevalshistorikern, die endlich mal eine neue Maske erleben möchten als immer nur den ewigen Pestdoktor mit der langen Nase, in der man die desinfizierenden Kräuter verbrannte, totgesagt auch von melancholischen UNESCO-Welterbe-Päpsten, die den Untergang Venedigs mit niemandem teilen möchten, weil sie ihn selbst, exklusiv und unter sich, erleben möchten, gibt es doch nichts Erhebenderes auf dieser Welt, als den Untergang von Nie-Mehr-Wiederkehrendem erleben zu dürfen. Venedig hat die Nase voll, die alte Dame rächt sich für all dieses ungläubige Untergangsgehupe - indem sie wirklich untergeht. Und dieser Stein war das Fanal dazu. Es werden nun die Palazzi und Häuser, die sottoporteghi und die zattere, die ponti und die campanili ihre Steine als Waffen benutzen, von oben werden sie die Touristen vertreiben, verjagen, aus der Stadt prügeln und Vivaldi wird dazu seine venezianischen Vexierkompositionen spielen, und endlich wird seine Musik ernst genommen: von der Stadt, die er am meisten liebte und die ihm erlaubt, ihren Totentanz zu spielen, weil sie ihn liebt. Addio Venezia!
 
Und Schottland ist auch in der Krise: Nessie bringts nicht mehr. Vor 20 Jahren ist Nessie noch zwanzigmal gesehen worden, letztes Jahr nur noch zweimal und heuer habe ich nicht eine Nessi-Meldung mehr gefunden. Neun Millionen € hat Nessie im Schnitt den Schotten gebracht, das ist langsam vorbei. Liebe Schotten da oben in den Highlands: wenn’s Nessie nicht mehr bringt: laßt doch den Kilt im Wind fliegen, das sollte doch gut und gerne 15 bis 20 Mio € bringen, wenn das, was man sich bei Damenfrisören unter die Haube flüstert, stimmt: daß jeder Schotte unterm Kilt das hält, was Sean Connery’s Gesicht versprochen hat. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen, außer: bis bald!
 
Ihr
Konrad Beikircher



© Konrad Beikircher - Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2009

Redaktion: Frank Becker