Lächelt, ihr Affen!

Roberto Ciulli inszeniert Tennessee Williams´ Drama „Treppe nach oben“ in europäischer Erstaufführung

von Frank Becker
Lächelt, ihr Affen!
 
Roberto Ciulli inszeniert Tennessee Williams´ Drama
„Treppe nach oben“
in europäischer Erstaufführung
 


Inszenierung
: Roberto Ciulli - Dramaturgie: Helmut Schäfer - Bühnenbild: Gralf-Edzard Habben - Kostüme: Heinke Stork - Regiemitarbeit: Thomaspeter Goergen - Regieassistenz: Khosrou Mahmoudi - Choreographie: David Hernandez – Fotos: A. Köhring
Besetzung: Volker Roos (Mr. Gum, Mr. E) - Steffen Reuber (Benjamin B. Murphy) - Peter Kapusta (Junger Soldat) - Fabio Menéndez (Mr. Warren B. Thatcher) - Simone Thoma (Das Mädchen) - Albert Bork (Jim) - Rosmarie Brücher (Bertha) – Petra von der Beek ( Alma, Bens Frau) -  Albana Agaj (Helen) - Klaus Herzog (Vorleser)
 
Wenig Publikum für eine Rarität
 
Als Theodor W. Adorno und Max Horkheimer im amerikanischen Exil ihre „Dialektik der Aufklärung“ verfassten, entstand auch Tennessee Williams´ sozialkritisches Theaterstück „Stairs to the Roof“ (1941) - noch unter dem Eindruck der Depression der 30er Jahre - über die Selbstbefreiung des Menschen aus seiner Ausbeutung im Arbeitsprozeß. Es war das zweite Stück des Autors, dessen unerhörter Erfolg mit „Glasmenagerie“ (1944), der nach Kriegsende auch nach Europa schwappte, alles vorherige überdeckte. So konnte es kommen, daß „Treppe nach oben“ in Europa nie aufgeführt wurde. Roberto Ciulli und das „Theater an der Ruhr“ füllen mit ihrer Inszenierung die theaterhistorische Lücke. Ein Jammer, daß z.B. in Remscheid nur knapp 80 Zuschauer (das Theater bietet Platz für 580) diese Gelegenheit wahrnahmen.
 
Das Leben - ein Alptraum
 
Ben Murphy (Steffen Reuber) ist einer von vielen Akkordarbeitern in einer Hemdenfabrik. Unzufrieden mit der Monotonie der Arbeit sucht er nach einem Ventil, das er in Ausflügen aufs Dach des Hauses

Steffen Reuber, Ensemble - Foto: A. Köhring
findet. Die vergessene Treppe dorthin hat er zufällig entdeckt. Doch der Kontrolle im Saal durch Mr. Gum (Volker Roos) entgeht nichts. Durch seine Eigenmächtigkeit droht Ben, dessen Frau schwanger ist, die Entlassung. Verzweifelt flieht er in Begleitung eines ebenso desillusionierten Mädchens aus der Näherei (Simone Thoma) in einer alptraumhaften Nacht voller hilflos quälender Dialoge und gewalttätiger Exzesse vor einer unausweichlichen Realität, die ihn umso härter am folgenden Morgen erwartet. Williams zitiert dabei mehr als einmal Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“: „Jedes Mädchen ist Alice, und ihr Wunderland ist die Liebe“. Was letztlich bleibt, sind Zweifel an der Natur der Liebe. „Liebe ist eine seltsame Krankheit“ (Er) – „Ich fürchte, Liebe ist ein Käfig, aus dem man nicht entkommt“ (Sie). Es bleibt ihm nur noch der Gang über die Treppe nach oben aufs Dach, von wo der einzige Ausweg der Sprung ist...
 
Atemberaubendes Bühnenbild
 
Gralf-Edzard Habben hat für das Drama ein atemberaubendes Bühnenbild geschaffen (das Foto wird dem nicht gerecht): in einem

Steffen Reuber, Simone Thoma, Ensemble - Foto: A. Köhring
kahlen, fensterlosen, schwarzen Arbeitssaal stehen voneinander abgewandt unter zwei Reihen von je fünf Neonlampen zwei Reihen mit je fünf Nähmaschinen, an denen unentwegt, unendlich, die gleichen Handgriffe, die gleichen Bewegungen geschehen. Stunde um Stunde – Tag um Tag. Daß Ciulli die Arbeiterinnen und Arbeiter die Handgriffe stets am selben Hemd ausführen läßt, unterstreicht die Qual der Einförmigkeit. Man spürt bedrängend körperlich die Zeit, das Leben verrinnen. Einzig die bemessenen Pausen und der Feierabend bieten Gelegenheit zu ganz kleinen Fluchten: Essen, Trinken, Träumen, Sex mit verschiedenen Partnern. Musik (Gerd Posny) wird in beißender Ironie eingesetzt: dem Mädchen gehört die Traumwelt von Tschaikowskis „Schwanensee“, über der Monotonie der Arbeit trällert „Whistle while you work“ aus der Disney-Verfilmung von „Schneewittchen und die sieben Zwerke“ und unter den Klängen von „The Star Spangled Banner“ geht die Gesellschaft ohne Glanz unter.

Simone Thoma, Ensemble - Foto: A. Köhring
 
Göttliche Güte? Fehlanzeige!
 
Roberto Ciulli setzt Tennessee Williams´ Parabel ohne Wenn und Aber um, decouvriert in der Schlußsequenz den Aufseher: Mr. Gum ist der Herr der Schöpfung: „Lächelt, ihr Affen, tut, als ob es euch freut!“ Vielleicht hat auch diese Kritik an der göttlichen Güte dem Stück bisher den Weg verbaut. Ciulli hat ihn freigemacht. Und die Erkenntnis des Mädchens „Es könnte so einfach sein, aber alles ist so verwickelt“ ist zeitlos.

Weitere Informationen unter: www.theater-an-der-ruhr.de