Brief eines toten Kameraden

von ***

Foto © Frank Becker
Lieber einstiger Weggefährte
und Kumpel!
 
 
Es wird Dir wohl nicht oft passieren, daß Du Post von einem Verstorbenen bekommst.
 
Der Trick dabei ist eben nur, daß man rechtzeitig seine Dinge ordnet und erkennt, wie lange man geistig und kör­perlich dazu noch in der Lage ist.
Ich weiß natürlich nicht, wieviel Zeit zwischen dem obigen Datum und der Zustellung dieses Schreibens vergehen wird, aber allzu lange kann es wohl nicht sein.
 
Bei meinem letzten stationären Aufenthalt im Krankenhaus zwecks Routine-Body-Check machten sie den Fehler (oder auch nicht), mich mit meinem Krankenakt zu einer Untersu­chung zu schicken. Da ich dort sehr lange warten mußte, habe ich aus Langeweile meinen Akt durchgeblättert. Einen Tag vorher war ich beim Nuklear-Röntgen gewesen und konnte nun schwarz auf weiß lesen, daß sich am gesamten Knochengerüst ungebetene Gäste - sprich Metastasen -häuslich niedergelassen haben.   Mehr brauch ich wohl nicht zu erklären.
Ein Hammer war das natürlich für mich momentan schon, aber ich habe seit meiner ersten Tumoroperation immer mit allem gerechnet.
 
Was ich mit diesem Schreiben an Euch nun sagen will ist folgendes:   Ich kann und will mit meinem Schicksal nicht hadern.
Ich habe den ganzen Zirkus von KDF-Feldzug Einmarsch Österreich bis zur Invasionsfront mitgemacht und war nicht einmal verwundet.
Das Feuerwerk auf der ,,Esposizione Universale di Roma" war ja nach Ansicht von K. Selbstverstümmelung und Zersetzung der Wehrkraft.
Deswegen lief ich ja dann auch beim letzten großen Rückzug vom Kessel ,,Golta-Perwomaisk" bis an die ungarische Grenze jede zweite Nacht strafweise Nachhut.
 
Natürlich nicht allein. Fünf bis sechs Unschuldige, die nichts verbrochen hatten, immer mit mir. Für mich war einfach keine Kugel gegossen. Aber ich werde, solange ich lebe, nicht vergessen, wie das mit dem Obergefreiten Schütz war. Als wir unsere Nachhutstellung verlassen wollten, war er gerade mit einem Bein aus dem Einmannloch,  als ihn ein Explosivgeschoß genau ins After traf.
Wir schleppten ihn stundenlang in einer Zeltbahn mit uns herum.   Er lag in einem Brei aus Blut, Kot und Gedärm, ein Verband war überhaupt nicht anzubringen.   Er beschimpfte uns und bat mich, ihn zu erschießen. Wär ich allein gewe­sen, ich glaube,  ich hätte es getan.
Wir schleppten ihn, bis er tot war und bedeckten ihn dann notdürftig. Jetzt weißt Du, was ich meine, wenn ich sage, daß ich mit meinem Schicksal nicht hadern kann. Ich bin immerhin 55 Jahre alt geworden und habe mein Leben wirk­lich genossen. Manchesmal sogar zuviel.
 
Was mich etwas (und das ist stark untertrieben) bedrückt: ich hinterlasse eine wunderbare Frau, die mir in den letz­ten Jahren Geliebte und Kumpel war. Sie ist ganze 26 Jahre jünger als ich und ein starker Typ. Die ganzen zweieinhalb Jahre meiner Krankheit war sie immer über alles eingeweiht und hat mich immer behandelt wie einen Kerngesunden. Nur ein einziges Mal hat sie geweint, als ich ihr das von den ungebetenen Gästen sagte. Sie wollte immer die Wahrheit wissen. Solche Frauen sind heute sel­ten geworden.
Mich beruhigt nur, daß ich in der Lage war, sie finan­ziell einigermaßen abzusichern, aber sie wäre auch jeder­zeit in der Lage, sich selbst zu helfen.
 
Das wär´s zu mir und meiner Asche.
 
Ich möchte mich nun nicht von Euch verabschieden ohne mich ganz herzlich bei denen zu bedanken, die mir in den letzten zwei Jahren immer wieder durch ihren, meist telefonischen Kontakt gezeigt haben, daß sie mich nicht vergessen haben. Charly hat mir vor ein paar Jahren persönlich einen klei­nen Silberbecher geschenkt, den er anscheinend selbst an­gefertigt hat. Im Boden dieses Bechers befindet sich eine Gravur mich betreffend. Wir waren damals alle stolz auf jede Auszeichnung, die man uns auf die Brust oder den Ärmel heftete. Diesen Becher aber möchte ich nicht tauschen, auch nicht gegen das Ritterkreuz mit Eichenlaub, Schwertern und Brillanten. Keine Sorge Charly, er ist bei meiner Frau in besten Händen.
 
Sterben müssen wir alle einmal. Der gute alte Max ist mir vorangegangen und Ihr werdet alle einmal früher oder später folgen. Doch jeder Mensch stirbt bekanntlich zweimal. Beim ersten Mal stirbt seine körperliche Hülle, beim zwei­ten Mal aber, wenn er vergessen wird.
 
Und nun, wenn auch posthum
letzte allerherzlichste Grüße
 
Euer
Kanonenkönig  Ernst
 


Redaktion: Frank Becker