Bravi Philharmonici!

Wagners "Siegfried" unter Soltesz in Essen

von Peter Bilsing
Wagners Siegfried in Essen
 
Premiere war am 10.Oktober 2009
 

Inszenierung: Anselm Weber - Musikalische Leitung: Stefan Soltesz – Bühne: Raimund Bauer – Kostüme - Bettina J. Walter – Licht: Dirk Beck -  Fotos: Thomas Aurin
Besetzung: Siegfried (Johnny van Hal) - Mime  (Rainer Maria Röhr) - Der Wanderer  (Almas Svilpa) - Alberich – (Oskar Hillebrandt) - Fafner – (Ks. Marcel Rosca) - Erda  (Lyubov Sokolova) - Brünhilde (Kirsi Tiihonen) - Stimme eines Waldvogels (Christina Clark)
 
Liebe = Tod
 
Es ist schon ein eigen Ding mit der Liebe im „Ring des Nibelungen“. Liebe ist gleich Tod, denn die

Bühne zu "Siegfried" - Foto © Thomas Aurin
Hoffnung auf erfüllte Liebe wird immer gleich wieder zerschlagen. Oder sollte man besser sagen: Wer die Liebe wählt, stirbt zuerst. Nur der Egoist, der Egomane überlebt in dieser Welt. Und so sind es neben dem pathologischen Drang zur Macht die Kernmotive im „Siegfried“ Liebe und Tod: „Leuchtende Liebe – lachender Tod“. Doch bei Wagners ist alles nur relativ zu sehen, denn was jemand sagt und singt ist meistens durch die Musik schon widerlegt, oder durch böse Taten unsteter Helden schon gerichtet. Also darf man nichts und niemandem trauen.
 
Menetekel
 
So ist die Oper „Siegfried“ ein Menetekel zwischen Liebe, Haß, Lüge und Gewalt. Und die im Namen des titelgebenden Helden eigentlich angedeutete Lösung, nämlich Frieden nach dem Sieg (Sieg-Fried!), entlarvt sich als Wunschdenken, denn immer wieder lockt das Weib – da war sich der alte

So stirbt Mime - Foto © Thomas Aurin
Richard Wagner im Privatleben so untreu, wie seine scheinbaren „Helden“ in den Opern. Und so lautet denn auch die letzte Parole Alberichs, die er später seinem Sohn Hagen in der „Götterdämmerung“ mitteilen wird zwar: „Sei treu!“ - gemeint ist aber „Räche mich und greif dir den Ring der Macht mit allen Mitteln!“ Heia BRD – hojottohoh deutscher Alltag!
 
„Siegfried“, das Bindeglied zwischen „Walküre“ und „Götterdämmerung“, ist eigentlich nicht mehr als eine Rache-Oper; wobei, wenn man es so sieht, die meisten Opern ihren Handlungsstrang dem Rachegeist entleihen. Mime will sich an seinem Schicksal rächen, indem er den Ring zurückerobert, Siegfried rächt seinen Vater, indem er das Schwert schmiedet und eigentlich eher dem Zufall geschuldet Mime tötet, Wotan ist insoweit schon gerächt, daß er eigentlich nur noch in seinen Raben präsent ist (Fingerzeit dieser Inszenierung), denn obwohl wissend, kann er den Lauf der Welt nicht mehr ändern, auch wenn er den bösen Schabernack im Ränkeraten mit Mime und die Wiederaufnahme der Beziehungen zu Erda betreibt - er ist kläglich gescheitert. Alberich ist zum Krüppel gewordent und lauert rachsüchtig vor der Drachenhöhle. Wenn Siegfried sich anschickt Wotans Speer zu durchschlagen, dann singt er natürlich „Herrlich zur Rache geriet mir das.“ Und selbst der gute und weise Rat der wiedererweckten Brünhilde: „Liebe dich und lasse von mir; vernichte dein Eigen nicht!“ verhallt ungehört im Liebestaumel eines Naivlings. Hätte er nur lieber auf seine Tante gehört!
 
Brautkleid bleibt Brautkleid, Blaukraut bleibt Blaukraut
 

Die Erda-Szene - Foto © Thomas Aurin
Regisseur Anselm Weber hat seinen Wagner gut gelesen, und er findet auch zusammen mit Raimund Bauer (Bühne) ganz passable Bilder, doch irgendwie springt der Funke der Spannung, wie vor Jahren bei jenem kongenialen „Lohengrin“ im Gazastreifen, diesmal nicht über. Vieles wirkt doch allzu betulich und ist mit übermäßiger Rampensteherei verbunden. Wotan (Almas Svilpa) z.B. muß meistens statuarisch auf seinen Speer gestützt herumstehen, als warte er auf den Bus oder den Weltuntergang – überflüssig ohnehin in der ersten Szene! Während Weber andererseits die große schauspielerische Begabung und Beweglichkeit seines Siegfrieds (Johnny van Hal) – der gerade erst im Weimarer Ring seine unglaubliche Musiktheater-Darstellungskraft brillant bewiesen hat – völlig unter den Scheffel stellt. Statuarisch wirkt auch Brünhilde (Kirsi Tihonen) – schuld daran ist u.a. eine blödsinnig lange Brautkleid-Schleppe, mit der sie anscheinend unter der Rüstung eingeschläfert worden ist. Nun denn, Brautkleid bleibt Brautkleid, Blaukraut bleibt Blaukraut und Unsinn bleibt Unsinn.
 
Spielberg war gestern
 
Vieles ist wirklich zum Gähnen und leider kriegt Weber die Kurve zum flüssigen Musiktheater nur in einer Außenseiterszene, nämlich 3.1, der Erda-Erweckung. Da kommt Wotan dann auch nicht in diesem wirklich selten blöden und geradezu albern realistischen Raven-Kostüm, sondern im Straßenanzug daher. Auf leerer Vorbühne gibt es nur vier Stühle. Mit seinem Blumenstrauß wirkt Wotan Wanderer wie ein netter Alltagsgenosse, der seine ehemalige Freundin besucht, um den Kontakt neu zu beleben. Doch die Jugendliebe ist erloschen und ansehnlich gealtert – logisch, hatte sie doch auch keine Freia-Äpfel und anscheinend noch weniger Aura des ewigen Lebens, wie der Göttervater himself. Das ist wirklich grandios – ich hab es selten so überzeugend gesehen – in Szene gesetzt und zeigt, was der Regisseur eigentlich kann. Ein weiterer großer, leider auch viel zu kurzer Moment grandioser Bühnenbildmagie ist das Erscheinen der schlafenden Brünhilde, die sich im langsamen Tempo der Musik auf einem riesigen glühend-feurigen Meteoriten von oben auf die Bühne absenkt. Das hätte sicherlich Steven Spielberg nicht überzeugender hingekriegt. Was für ein fantastischer Effekt: das rote Feuer und die silbern glänzende Rüstung Brünhildes! Doch schnell kühlt der glühende Stein aus, und Teile des Publikums schlafen selig wieder ein, dämmernd im Einheitsgrau der Bühnenöde und der Statik des semikonzertanten Rampengesangs.
 

Walküre auf Meteorit - Foto © Thomas Aurin

Brillante Bühne und passabler Gesang

Dabei waren die Bühnenbildeinfälle eigentlich noch das Beste an der ganzen Inszenierung. Der erste Akt inklusive veritabler Schmiede, dessen Amboß GsD auch zum richtigen Zeitpunkt auseinanderfällt, spielt (wie wir erst später sehen werden) auf dem Rücken eines riesigen Untiers, welches sich im zweiten Akt dann auch beeindruckend bewegt, während der dritte Akt eine Mond- oder Endzeitlandschaft glaubwürdig suggeriert. Eine aufwendige und überzeugende Arbeit von Raimund Bauer. Auch die Kostüme von Bettina J. Walter sind recht fantasiereich und ausgefallen, wenngleich für mich sinnvoll wenig nachvollziehbar. Die Lichtregie von Dirk Beck ist ausnahmslos einsame Spitze. Ein wirklicher Lichtblick!
 
Gesungen wurde durchweg passabel, wenngleich ich doch den Wotan des jungen Almas Svilpa und die auch dramatisch sehr überzeugende Darstellung von Oskar Hillebrandt (Alberich) besonders erwähnen möchte. Allein der Energie, dem Mut, dem Rieseneifer und der guten schauspielerischen Leistung des Johnny van Hals als Siegfried in dieser stimm-mordenden Rolle - der schwierigsten Opernpartie die es gibt - muß uneingeschränkt Respekt gezollt werden, wenngleich er im Weimarer „Ring“ (Bitte kaufen! Ein Meilenstein & Muß für aufgeklärte Wagnerianer!!) noch erheblich mehr

Finale - Foto © Thomas Aurin
zeigen durfte.
 
Soltesz + Wagner + Gebäck = Maß der Dinge
 
Stefan Soltesz, sicherlich der fleißigste GMD weit und breit auf der Erde Rücken, bot mal wieder einen Wagnersound, den man nur als beispielhaft, auf der Höhe der Zeit und auch von vorbildlicher Transparenz in allen Orchestergruppen (Bravi: Essener Philharmonici!) bezeichnen muß. Das Maß der Dinge an musikalischer Wagner-Interpretation liegt nicht in Wien, sondern ohne Zweifel zur Zeit im Essener Aalto. Allein deshalb schon sollte man sich diesen „Siegfried“ (Immerhin bietet die hervorragende Gastronomie ausgezeichneten Kaffee und Gebäck in den langen Pausen von 30 bzw. 40 Minuten) nicht entgehen lassen. Auf, auf und auf…..
 
Weitere Informationen unter: www.theater-essen.de 

Redaktion: Frank Becker