Kurkapelle

von Hanns Dieter Hüsch

© André Poloczek - Archiv Musenblätter
Kurkapelle


Um 7 Uhr 40 versammeln sich allmorgendlich in deut­schen Binnenbädern bekennende Kurgäste vor dem Musikpavillon, schleifen zierliche Sessel, verklemmte Gartenstühle und adlige Hocker emsig durch Kiesel- ­und Parkgeröll, um der Kurkapelle, dem 1. Geiger oder dem Harfner, nahe zu sein. Es setzen sich Männer und Frauen und harren, Blick geradewegs auf die Nußscha­le, in der noch der Gärtner Lorbeerbäume architekto­nisch verteilt, auch der Hausmeister klempnert noch an den Mikrofonen, weiß man doch, daß um 7 Uhr 45 punktum der Kurkapellmeister im lockigen Haar - schö­ner Rücken kann auch entzücken - sein Zepter erhebt, um seine 11, oder sind's 12, jedenfalls, um seine musi­kantischen Söldner auf Zick-Zack zu bringen, d. h. zu­meist wird gestrichen. Tödlicher Ernst liegt über dem Garten. Morgenstund hat hier etwas andres im Mund, 's ist ein Choral, geblasen vom Blatte, jedem Schnür­schuh das Seine. Mancher sitzt hier schon in der dritten Generation, manchmal kommt Vogelgezwitscher dazwi­schen oder strömender Regen. Dann wird der Choral in der Trinkkuranlage fortgesetzt.
 
1962


© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus dem Band "Den möcht´ ich seh´n..." in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung