Glatzen, Glotze, Gewalt

Klaus-Peter Wolf - "Samstags, wenn Krieg ist"

von Jürgen Kasten

Bildunterschrift
Samstags, wenn Krieg ist


Samstags, wenn Krieg ist, sitzen die braven Bürger vor der Glotze, in der Kneipe oder sonstwo. Sind sie dann doch mal auf den Straßen unterwegs, schauen sie weg.
Die Szenerie könnte in jeder deutschen Stadt angesiedelt sein. Klaus-Peter Wolf hat sich für den fiktiven Ort Ichtenhagen entschieden, erinnert der Name doch an Rostock-Lichtenhagen, in der ein entfesselter rechter Mob, gemeine Mörder, ein Asylantenheim in Brand steckten.
Genau das wollen die „Ichtenhagener Ultras“ wiederholen, denn Doitschland braucht ein Fanal, die Hamburger Kameraden sollen die Ultras endlich ernst nehmen. Ein Friedhof wird verwüstet und Hakenkreuze in den Rasen gebrannt. Doch das ist erst der Anfang. Der Fokus der öffentlichen Meinung ist derzeit  hauptsächlich auf die Islamisten gerichtet. Die Rechten haben sich derweil in einigen Landtagen eingerichtet. Gewöhnt man sich wieder an sie?
 
Damit das nicht passiert, hat Klaus-Peter Wolf bereits 1994 diesen Roman geschrieben. Die Redakteure der TV-Sender waren von seinem Projekt begeistert. Im Rahmen der Reihe „Polizeiruf 110“ wurde ein viel beachteter und gelobter Film daraus und er wurde mit dem Buch zur Schullektüre. Nach mehrfachen Wiederholungen verschwand der Film 2002 im Giftschrank des SWR, wegen „mißverständlich aufgenommene Darstellung von Gewalt“. Ich hatte den Film gesehen und verstehe diese Gründe nicht. Andere offensichtlich auch nicht, denn der Pendragon-Verlag hat das Buch nun im Sommer 2009 neu verlegt.
Wolf führt die Ultras in Ichtenhagen an. Gewaltbereite Glatzen hat er um sich gesammelt. Sie bedrohen die Gesellschaft nicht nur durch ihr provozierendes öffentliches Auftreten, sie üben auch echte Gewalt gegen Ausländer und andere aus und sie haben tatsächlich Sprengstoff, um das Asylantenheim mit Granaten zu bombardieren.
 
Eine Testsprengung verlief bereits erfolgreich, da geschieht ein Mord. Kommissarin Vera Bilewski leitet die Ermittlungen, die in das Umfeld der rechten Gewalttäter führen. Sie trifft auf Gleichgültigkeit, Verdrängungsstrategien der Eltern „mein Sohn ist doch nur ein normaler Jugendlicher, der sich etwas austobt; haben wir das nicht alle gemacht?“, und sie sieht sich den arroganten, selbstherrlichen Glatzen gegenüber. Die können sich das erlauben, denn die Hamburger Kameraden von der Partei schicken aalglatte, gelackte Rechtsanwälte. Die Ultras sehen sich unangreifbar. Erst recht, nachdem ein Parteibonze im Ort eine Rede hielt. Unter den Zuschauern waren nicht wenige Polizisten, die ihm Beifall spendeten. Das ist das Grundgerüst des Romans und doch ist es ein wahrer Teil unserer Gesellschaft.
 
Wolf schreibt kurze, knackige Sätze, lebensechte Dialoge und läßt uns in die Köpfe und Gedanken seiner Protagonisten schauen, zeichnet deren persönliche Geschichten nach. Da ist Siggi, der Konditorlehrling. Er kümmert sich rührend um seinen schwer behinderten Bruder Yogi. Siggis Schwester wird ermordet und im Wald verscharrt. Der Anführer Wolf lenkt zunächst den Verdacht geschickt auf einen italienischen Gigolo namens Gino. Anlaß genug, ihn von der rechten Schlägertruppe jagen zu lassen und die Pizzeria seiner Familie zu zerschlagen. Als Wolf aber auch Yogi verdächtigt und etwas von „unwertem Leben“ faselt, zweifelt Siggi langsam an der kruden Philosophie seiner rechten Kumpane. Zu ihnen zählen noch Peter, Dieter, Jürgen und Max, der gerne Adolf hieße und auch so aussieht.
Diese jungen Heranwachsenden haben die Gewalt zu ihrem Lebensmotto gemacht. Sie wollen provozieren und Schrecken verbreiten, um die „aufrechten Doitschen“ zu einer Revolution zu führen, die alle Ausländer aus dem Land fegt. So betet man es ihnen vor und dafür werden sie von der Partei unterstützt, an deren Spitze Intellektuelle und „honorige“ Geldgeber stehen.
 
Die Schlägertruppe stellt das Gegenteil dar: abgebrochene Hauptschule, Heimkind oder aus zerrütteter Familie stammend, arbeitslos oder kurz vor Abbruch der Lehre.
Das ist das Perfide an dem Roman: die traurigen Biographien sind nachvollziehbar; in ihrer beschriebenen Gedankenwelt sehen sich die Jungen selber als Loser der Gesellschaft, nicht dazugehörend und ohne Zukunftsperspektive. In all ihrer hirnlosen Brutalität schimmern menschliche Züge und Verlassenheit hindurch und der Leser kann nicht umhin, mit ihnen Mitleid zu bekommen.
Ein aufrüttelndes Buch, spannend und unglaublich gut geschrieben. Vielleicht zwingt sein Erfolg die Fernsehmacher, den Film erneut ins Programm zu nehmen.
 
Klaus-Peter Wolf - Samstags, wenn Krieg ist
© Pendragon Verlag Bielefeld, 2009 - Neuausgabe, Paperback, 256 Seiten
ISBN: 978-3-86532-155-8 - € 9,90, sFr 18,50
Weitere Informationen unter: www.Klauspeterwolf.de  und www.pendragon.de