Schon wieder keine Trüffeln gefunden.

Drei Tage nach dem 9. November

von Dorothea Renckhoff

Foto © gay / Pixelio
Schon wieder keine Trüffeln gefunden. Vielleicht ist jetzt ja nicht die richtige Jahreszeit. Das Narzissenfest hab ich auch verpaßt. Das ganze Tal, Wiese an Wiese, nur noch abgeblühte Stengel. Man konnte sich vielleicht vorstellen, mit Mühe, wie es möglicherweise ausgesehen hat, diese weite Flucht von Osterglocken. Oder wie es im nächsten Jahr aussehen wird, vorausgesetzt, man kommt pünktlich.
Ich bin das langsam leid, dieses ewige Lauern und Hecheln nach dem richtigen Zeitpunkt, um am rechten Ort das Rechte zu suchen, zu sehen, zu bewundern, zu beweinen oder zu ernten, je nach Anlaß. Adventsingen in Salzburg, im Januar nach Hammerfest, wenn der Eisbärclub in der Polarnacht tagt; im März die Rösslein einspannen. Osternacht: im heiligen Rußland fromme Küsse tauschen. In Gibraltar die Affen bei der Paarung, die Konfettiparade der New Yorker am Unabhängigkeitstag erwischen. Kürbissuppe zu Halloween (war da nicht irgendwann mal was mit Luther…?), Hummelflug in Riedenburg, Polterabend zur Buchmesse mit Chinaporzellan, Walpurgisnacht auf dem Brocken…
Ich bin das jetzt leid, ich mache nicht mehr mit. Ich will nicht mehr pünktlich zum Termin die passende Stimmung herstellen, und dann auch noch in allen Medien dasselbe Thema breitgetreten finden. Allein im Mai: Tulpenfest, Napoleons Todestag, Marienandacht, 60 Jahre Grundgesetz… wie soll man dabei Trüffeln finden? Das ist mir schon auf die Nerven gegangen, als ich noch klein und der 17. Juni ein Feiertag war, mit Feierstunde in der Schule. Da hab ich mich immer gefragt, woher die Lehrer so plötzlich diese ergriffenen Gesichter nahmen. Heute frage ich mich dauernd, woran denken sie alle wirklich bei solchen Anlässen? Zu Ostern – ob Auferstehung weh tut? Im New Yorker Konfettiregen – an Washington, der mit nassen Hosen im Fluß steht und für die Freiheit kämpft? Zu Halloween – an Herta Müller? Am 9. November…? Ich denke jedenfalls meistens an Trüffeln.


© Dorothea Renckhoff
- Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2009