Aus der Vergangenheit akademischer Gerichtsbarkeit

Eckhard Oberdörfer - „Der Heidelberger Karzer“

von Frank Becker
Aus der Vergangenheit
der akademischen Gerichtsbarkeit
 

Der Karzer, das akademische Gefängnis, gab schon im 14. Jahrhundert den deutschen Universitäten aufgrund eigener Disziplinarstatuten die Möglichkeit, außergerichtlich Verfehlungen nicht nur von von Studenten, sondern lange auch von anderen Hochschulangehörigen mit Haft zu ahnden. Verstöße gegen das Duellverbot, verbotene Mensuren, politische Unruhen, Raufhändel, aber auch „grobe Unsittlichkeit“, Trunkenheit, Randalieren, Beleidigungen und Ehrenkränkungen, Schulden oder ungebührliches Benehmen gegenüber akademischen Autoritäten und einiges andere mehr konnte mit der Haft im Karzer geahndet werden. Das konnten, wie im Fall Heidelbergs, bis zu vier Wochen sein. Viele Hochschulen unterhielten eigene Karzer, einige davon sind noch heute erhalten und werden u.a. in den klassischen Universitätsstädten Greifswald, Marburg, Jena, Tübingen, Göttingen, Gießen und Heidelberg als geschützte Denkmäler studentischen Brauchtums gepflegt. Seit dem 1. April 1935 ist diese Form der akademischen Gerichtsbarkeit endgültig Vergangenheit. 
 
Über den wohl berühmtesten Karzer, den der Universität Heidelberg, dessen Geschichte bis ins 16. Jahrhundert zurück reicht, hat Eckhard Oberdörfer ein hervorragendes Buch geschrieben, das 2005 vom Kölner SH-Verlag veröffentlicht wurde. In neun ausgezeichnet recherchierten Kapiteln rollt Oberdörfer die Geschichte der deutschen Karzer und der akademischen Gerichtsbarkeit im Allgemeinen und die Geschichte des Heidelberger Karzers im Besonderen auf. Dabei lernt der Leser, daß das „fidele Gefängnis“ zwar stets eine privilegierte Form der Haft gewesen ist - sie galt als "Ehrengefängnis" und wurde besonders im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert beinahe als heiteres Intermezzo eines Verbindungs-Studentenlebens angesehen - aber beileibe nicht immer schon der Ort romantischer Verklärung war, der es heute in der Erinnerung für viele ist. So heißt es aus dem Jahr 1534, daß einem Inhaftierten „wegen der Feuchtigkeit die Kleider vom Leibe und die Schuhe von den Füßen gefault“ seien.
 
Eckhard Oberdörfer ist dem Thema sorgfältig auf den Grund gegangen, hat Dokumente aus Stadtarchiven und Universitätsakten, Karzerordnungen, amtliche Schreiben und Gesetzestexte ausgewertet, Zeichnungen, Stiche und alte Fotografien zusammengestellt, den Heidelberger Karzer (eine Anlage mit vielen Arresträumen, nach Verbindungen getrennt!) selber noch einmal ausführlich fotografisch (farbig) dokumentiert, sowie Karzerpoesie und Karzergeschichten zusammengetragen. Er erklärt die akademische Gerichtsbarkeit, berichtet von Strafen, beschreibt detailliert die Räume und ihre berühmten Inschriften und Zeichnungen, erzählt Anekdoten und gibt im Anhang durch ein Glossar und eine Auflistung aller Heidelberger Verbindungen wichtige zusätzliche Informationen. Eckhard Oberdörfer ist damit ein Standardwerk gelungen.
 
Eckhard Oberdörfer: „Der Heidelberger Karzer“ – © 2005 SH-Verlag, 176 Seiten, gebunden, durchgehend mit farbigen und s/w-Illustrationen bebildert, Quellenverzeichnis, Glossar, Liste der Heidelberger Verbindungen, ISBN 3-89498-132-6 - € 19,80 (jetzt im Verlag tms)
 
Weitere Informationen unter: verlag-tms.de