Über das Wasserlassen in Öffentlichkeit und dafür vorgesehenen Räumen

Eine Betrachtung

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Über das Wasserlassen
in Öffentlichkeit und
dafür vorgesehenen Räumen
 

Zum Wasserlassen sagt man auch Pinkeln, was sowohl die Tätigkeit als auch deren Klang beschreibt. In akademischen Kreisen, bei feinen Pinkeln also, bevorzugt man das Wort urinieren, aber urinieren tut man mit dem Kopf, pin­keln nicht.
Viele sagen, niemand muß müssen, ich aber sage, wer muß, der muß. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, da waren die Raststättentoiletten sauber und deren Nutzung umsonst.
Wer sich gehen läßt, sollte immer ein Ziel vor Augen haben, sonst trifft er es nicht. Ein grobes Anvisieren der Toilettenschüssel reicht nicht aus. Toilettensteine erleich­tern die Orientierung und schäumen auf beim Einschlag. Es ist immer schön, wenn es unter einem brodelt, da weiß man doch, daß man lebt. Letztenendes ist Treffsicherheit aber nicht eine Frage des Könnens, sondern des Charak­ters.
 
Haben Sie schon mal einen schwarz gewordenen Rot­kohlsalat im Klo fortgespült? Müssen Sie mal machen. Al­lein das Geräusch und nachher ist das Wasser ganz ganz blau, richtig blau und wenn man will, sogar grün. Ja, blau und gelb ergibt halt zusammen grün. Ich meine, das ist doch auch schön, daß man das, was man in der Schule ge­lernt hat, im tatsächlichen Leben so nah erfahren darf. Eine Gnade ist das.
 
Ich kannte einen Mann, der hatte mal beim Wasserlas­sen alles Mögliche im Kopf, nur nicht das Wasserlassen. Kein Wunder, daß alles daneben ging, was daneben gehen konnte: Hilfe! Mann über Bord! Rette sich wer kann! Land unter! Kein Wunder, daß schließlich die Feuerwehr anrücken mußte, um den Keller auszupumpen. Schnorchel­taucher durchforsteten in Spezialurinalanzügen die Was­sermassen auf der Suche nach Überlebenden und Wertge­genständen. Kann man Wassermassen durchforsten? Ein U-Boot wurde in der Zeit an normale Schaulustige und Presseleute vermietet, die sowohl die Schaulustigen beim Schaulustigen als auch das beklagenswerte Opfer beim be­klagenswerten Opfern fotografierten.
 
Es ist interessant, daß man auf Jungentoiletten in Kin­dergärten und Schule schon auf eine Trennung von im Ste­hen zu verrichtenden Aufgaben und im Sitzen zu verrich­tenden Aufgaben besteht. Viele Privathaushalte setzen die Verschmelzung dieser zwei auch unabhängig voneinander zu vollziehenden Tätigkeiten voraus. Sie stellen für diese beiden Aktionen oft nur eine Sitztoilette und fördern da­mit deren Mißbrauch. Der Wunsch, im Stehen zu pinkeln, liegt am natürlich Instinkt des Mannes, überall und schnell die Flucht ergreifen zu können, und sei es vor dem Toilet­tensäubern. Natürlich würde der Mann lieber in der freien und wilden Natur sein Geschäft verrichten, wenn es sie noch gäbe. Die freie und wilde Natur ist ein stinkendes Männerklo mit Schimmelpilzen und fehlendem Klopapier. Verdreckte Wände, einprägsame Botschaften und eindeu­tige Zeichnungen machen den Aufenthalt auf einer Toilette zu einer Reise in die Steinzeit, zu einem Beisammensein unter Höhlenmenschen. »Wenn man beim Pinkeln nicht mehr furzen darf, ist doch alles Scheiße.« Ich weiß.
 
Ich pinkele oft erst im letzten Augenblick. Ich muß mir ganz sicher sein, daß ich was zu bieten habe. Ein peinliches Nichtstun, zwischen sich gehen lassenden Geschlechtsge­nossen ist das Letzte, was ich gebrauchen kann. Stellen Sie sich diese Stille vor. Diese Stille zwischen dem gesamten Rauschen, wie die Pause zwischen zwei Musikstücken ei­ner Hardrockband. Wie die Angst, im Kofferraum eines Autos aufzuwachen, auf dem Grund des Meeres, und du stößt den Kofferraum zwar mit den Beinen auf, aber nicht den Jutesack, in dem du gerade gefesselt und geknebelt als Entführungsopfer liegst. Eingepackt wie ein Christokunst­werk, gesichert durch ein Schloß mit einem Zahlencode, das der Entführer mit den Geburtsdaten deiner Frau ge­füttert hat, und du weißt natürlich nicht das Datum ihres Geburtstages und du hättest ihn auch dieses Jahr vergessen, wenn nicht, wie du nun denkst, ein glücklicher Umstand, ein gütiger Gott, dich weit weg von ihrem eingeschnapp ten Gesicht und diesem traurigen Schulterzucken entführt hätte, an diesen stillen Ort, wo die Welt noch in Ordnung ist und der Mensch unbehelligt im Stehen die Toiletten­blume gießen darf. Sagen wir es einmal, wie es ist. Vor dem Sitzklo im Stehen zu pinkeln ist genauso wie auf der Rolltreppe zu laufen. Es ist eine Provokation. Ein nicht Annehmen von Errungenschaften, die unser Zusammenle­ben erleichtern sollen. Natürlich ist es auch für den Mann wichtig, gerade nach dem Genuß von mehreren Flaschen Bier eine Meßlatte (entschuldigen Sie eine Zweideutigkeit, die im Grunde nicht beabsichtigt war und sich einfach in diesen Zusammenhang drängte) für seine Kommunikati­onstauglichkeit in den Händen zu halten. Pinkelt er im Stehen und trifft ins Herz, steht dem Genuß von weite­ren Alkoholika nichts im Wege. Pinkelt er im Stehen und verfehlt sein Ziel, ist es an der Zeit zu gehen und seine Duftmarken woanders zu hinterlassen, und sei es in einer Ausnüchterungszelle. Nein, nein, nein. Es gibt eine Gesetz­mäßigkeit, die unser Zusammenleben erleichtern könnte. Man respektiert den Wunsch derer, die das Klo sauber ma­chen müssen. Wer das Klo sauber macht, darf bestimmen wovon.
 
Ich stand einmal gemeinsam mit der A-Mannschaft von Hertha BSC auf einer riesigen Hoteltoilette in Berlin. Wir fingen gemeinsam an, unser Geschäft zu verrichten, bis nach und nach einer nach dem anderen sich geschlagen gab und das WC verließ. Am Schluß stand ich schließlich noch alleine vor meinem Urinal und dachte, dieser Punkt geht nach Paderborn. Man soll uns Ostwestfalen nicht un­terschätzen. Das sind Triumphe.



© Erwin Grosche
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus:
"Warmduscher-Report"