Mit Entsetzen Scherz

Felicia Zellers ICE-Einakter „Ich Tasche“ unter Strom

von Frank Becker

Foto © Frank Becker
Ist das denn nicht der Zug
nach Hamburg?
 
Felicia Zellers ICE-Einakter „Ich Tasche“ 
- und mit ihm das Publikum -
steht eine Stunde lang kompakt unter Strom
 

Inszenierung: Peter Wallgram – Bühne und Kostüme: Pia Maria Mackert – Fotos: Uwe Stratmann - Dramaturgie: Oliver Held - Besetzung: Sophie Basse – Holger Kraft – Maresa Lühle – Marco Wohlwend
 

Atemberaubender Auftakt
 
Was sich zu Beginn des Einakters zwischen den in ICE-Farben gehaltenen rot-weißen Stuhlreihen abspielt, ist aus dem prallen Leben gegriffen – wer hätte sich nicht schon mit zu viel Gepäck beladen durch die engen Gänge eines mit Scharen ebenso beladener Fahrgäste vollgestopften Zuges geschoben? Vermutlich waren dabei auch die Wagen in umgekehrter, will sagen falscher Reihenfolge an die Lok gehängt. Doppelt verkaufte und falsch reservierte Plätze „...aber ich habe doch dafür eine Stunde am Schalter...“ – kennen wir. Und hat man dann seinen Sitz: brutal laute Zeitungsumblätterer (die machen das mit Absicht!), PC-Benutzer, Butterbrotesser (stinkende – nicht die Esser, die Brote), Sitznachbarn mit Blähungen (Stück Brot dazu...? – ist Furzen ein natürliches Recht?), dümmliche Mobiltelefonierer, sinnentleert (beide: Mensch und Gespräch),  in typischen Satzfragmenten einer verrotteten, einst deutschen Sprache (..ich so.. - ..er so... - ...wir so... - ...voll krass...) und einer ebenso verkommenen Gesellschaft.   
 
Der alltägliche Bahnsinn
 
Es ist eben der tägliche und typische Bahnsinn einer weißroten Alptraum-Reise, den Felicia Zeller für ihr Stück aufgespießt und bis zum Exzess gekonnt breitgetreten hat. „Ist das denn nicht der Zug nach Hamburg?“ – „Also wir fahren nach Mannheim!“ – „Denken SIE!“ Vier Schauspieler (Sophie Basse – Holger Kraft – Maresa Lühle – Marco Wohlwend) übernehmen in fliegendem Wechsel die Personifizierung vieler Charaktere, die wir auch alle kennen, begegnen sie uns doch täglich – in der Bahn. Kurzbeschreibungen wie „weiblich, an einem rosa Schal strickend“ oder „Ich, Tasche“ skizzieren vor, was vom Publikum mit Begeisterung im Handumdrehen identifiziert wird. In

Holger Kraft, Sophie Basse, Marco Wohlwend, Maresa Lühle - Foto © Uwe Stratmann
Endlosschleife wiederholte Allgemeinplätze, simultan empörte Ehepaare, impulsive Ausbrüche, hysterischer Vandalismus, hervorgerufen durch Tabakentzug („Ich will eine rauchen!“), ein Becher "Schümli" für lächerliche 3, 50 Euro - punktgenaue Beobachtung von Mensch und Situation machen dank des spielfreudigen Ensembles aus dem Stück einen amüsanten Beleg dafür, daß man mit wenigen Sätzen eine kurzweilige kabarettistische Stunde gestalten kann. Daß dazu beinahe die ICE-typischen bilingualen Durchsagen des sächsischen Zugpersonals (oder sollte man besser sagen: trilingual?) ausreichen würden, zeigt das wiedererkennende Gelächter im Auditorium.
 
Mit Entsetzen Scherz...
 
Denn Kabarett ist es – einschließlich des Endes mit Schrecken – was Peter Wallgram mit Felicia Zellers Stück auf die Bühne des Wuppertaler Kleinen Schauspielhauses bringt. Wird der vermeintliche Selbstmord-Attentäter noch lachend als ein Witzbold entlarvt, der sich Leberwurstbrote um den Körper geschnallt hat, endet die Zugfahrt in einem Chaos blutender Passagiere und abgerissener Gliedmaßen – bei Fulda. Erinnerungen an die Unfälle von Eschede und Fulda werden bewußt geweckt. Da greift man sich schon ans Herz. Das ist schrecklich, aber zulässig. Hatten wir es nicht längst verdrängt?
Eine temporeich inszenierte, unterhaltsame Stunde Theater/Kabarett, die zeigt, was mit einfachen Mitteln und minimalem Aufwand mit engagierten Darstellern machbar ist. Die kaum wieder gutzumachenden kulturellen Folgen einer im Gesamthaushalt völlig unbedeutenden Einsparung der Sparte Schauspiel wären für die Großstadt Wuppertal und ihr im Vergleich zu ähnlichen Kommunen ohnehin eingeschränktes Kulturangebot unabsehbar.  
 
Weitere Informationen unter: www.wuppertaler-buehnen.de