Eine Opernreise nach Zürich (1)

Rossini, Verdi, Händel und Strauss in drei Tagen

von Martin Freitag

Eine Opernreise nach Zürich

Rossini, Verdi, Händel und Strauss
in drei Tagen
 

1
 
Zürich ist eine schöne Stadt und immer eine Reise wert, zumal sie für uns Opernfreunde eines der sicherlich wichtigsten Häuser der Welt bietet. Wenn man den Spielplan richtig abpaßt kann man in drei Tagen so ein kleines Wunder von fünf hochkarätigen Aufführungen erleben, wie es dem Autor in den ersten drei Januartagen des Neuen Jahres 2010, geschehen ist. Doch eine kleine Warnung: es ist bei aller Liebe zum Metier ein anstrengendes Unterfangen. Die Matineen um 14.00 Uhr sind zu einem Zeitpunkt, wo der menschliche Biorhythmus nicht gerade in Höchstform ist - was sicherlich für Zuschauer, wie ausführende Künstler und Arbeiter gilt - um so mehr ein großes Kompliment für Zürcher Opernhaus, seiner Organisation und nicht zuletzt sicherlich den Bühnenarbeitern, die so eine Anhäufung an Opernaufführungen maßgeblich bestreiten. Zur Einführung ein kleiner Zeitplan der Aufführungen:
01.01.10 um 14.00 Uhr Rossini "Der Barbier von Sevilla"
                 um 20.15 Uhr Verdi "Il Corsaro"
02.01.10  um 14.00 Uhr Händel "Orlando"
                 um 20.00 Uhr Rossini "La Cenerentola"
03.01. 10 um 16.00 Uhr Strauss "Die Frau ohne Schatten"
- und das Alles in hochrangigen Besetzungen, die Inszenierungen in einer Art klassischer Moderne der gediegenen Zürcher Art.
Es liegt natürlich in der Sache der Dinge, daß man gerade die beiden recht naheliegenden Rossini- Aufführungen miteinander vergleicht, daher keine rein zeitliche Folge in den Kritiken.
 
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Beide Inszenierungen wurden vom selben Regisseur, Cesare Lievi, auf nahezu klassisch gekonnte Weise geführt, wobei die ältere "Cenerentola" das wärmere Gefühl erzeugte, da die Gags von den Sängern einfach superb über die Rampe gebracht wurden, aber auch die märchenhaft anzuschauende Ausstattung von Luigi Perego mit ihrer Nähe zu den Bildern Rene Magrittes einfach geschlossener wirkte. Der "Barbier" hatte erst am 27.12.09 Premiere gehabt und als Bühnenbildner den bekannten Architekten Mario Botta. Seine etwas kühlen Türme, die aus einzeln drehbaren Parallelogrammen bestanden und durch raffinierte Lämpchen verschiedenfarbig beleuchtet werden konnten, waren durchaus von abwechslungsreicher Optik und die Innenräume wurden durch die konstruktivistischen Möbel Bottas geschmackvoll gestaltet. Nicht ganz stilistisch passend dagegen die eigentlich hervorragenden Kostüme Marina Luxardos, die den jeweiligen Rollencharakter stets auf den Punkt brachten, die jungen Leute in poppigen Farben und Materialien wie Lack und Leder, die älteren Personen mehr der Commedia dell Arte angenähert mit flauschigen Stoffen etwas angegammelten Charakters. Die Sänger, bis auf den hervorragenden Ruggiero Raimandi, der immer noch mit präsentem, wohlklingendem Baßbariton ein Intrigantenporträt von Basilio gestaltete, alle aus der jungen Riege. An erster Stelle Javier Camarena - dem jungen mexikanischen Tenor mit seinem verspielten stets kultviertem Vortrag bei wunderbar lyrischem Tenor darf man eine echte Weltkarriere in diesem Fach prophezeien - eine echte Alternative zu Florez. Massimo Cavalletti hatte mit sicherem Bariton als Figaro die Intrige und das Publikum stets im Griff. Morgan Moody stellt mit jungen Jahren einen  hervorragenden Bartolo mit frischer Stimme dar, wie Rebeca Olvera ein Kabinettstück als Berta lieferte und an allen drei Tagen in unterschiedlichen Partien einen unermüdlichen Dauereinsatz auf bestem Niveau zeigte. Davide Fersini gab eine kurze und gute Visitenkarte als Fiorello ab. Serena Malfi ist eine bildhübsche, junge, italienische Mezzosopranistin und singt eine beeindruckende Rosina, es fehlt jedoch noch ein bißchen an nötiger Bühnenpräsenz, und die Stimme zeigt noch keine wirkliche Prägnanz. Vielleicht ein Zeichen, sich in der frühen Laufbahn noch etwas Zeit zu lassen.
 
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Es ist jedoch auch schwierig, wenn man mit so einem gewaschenen Bühnentier wie Cecilia Bartoli in ihrer Paraderolle als Cenerentola verglichen wird. Trotz Handicap, nämlich einer gebrochenen Zehe, humpelte die turbulent als "Zehkaputtel", pardon Aschenputtel, über die Bühne, mit dem Glück, bei Rossini/Ferrettis Version keinen Glaspantoffel, sondern das passende Armband vorweisen zu müssen. Über ihre ausgefeilte Interpretation und vokalen Feuerwerke braucht man eigentlich keine unnötigen Worte verlieren. Sen Guo und Irene Friedli befeuerten sie effektvoll in den oft unterschätzten Partien der bösen Schwestern. John Osborn gefiel mit etwas "weißem" Rossini-Tenor und enormer Geläufigkeit und interpolierter Höhe. Oliver Widmer setzte die Pointen des Hochstaplers Dandini effektvoll mit leicht knarzigem Bariton, und ließ mit dem phänomenalen Don Magnifico Carlos Chaussons das Duett beider zu einem der Höhepunkte werden. Chausson ist ein Komödiant par excellence und singt in irrwitzigem Tempo jedes Parlando noch mit größter Sicherheit. Bei Laszlo Polgar haben sich in den Höhenlagen doch schon Verschleißerscheinungen bemerkbar gemacht, während die Tiefe seines Basses immer noch voll und sonor klingt, er liefert allerdings ein besonders eindringliches Porträt des humanistischen Philosophen Alidoro ab und fesselt dabei mit der inhaltlichen Aussage seiner Arie wie wenige.
Muhai Tang serviert seinen Rossini mit flotten Crescendi gekonnt und sicher, doch die Dirigentensensation ist schlichtweg Nello Santi, der vom Cembalo seinen "Barbiere" alt und doch neu im Klang leitet. Die Tempi klingen eigentlich etwas hausbacken, doch allen Furor holt er allein aus Rossinis Orchestrierung heraus und macht dabei allen jüngeren Kollegen noch etwas vor, echte "Alte Schule". Sein Rossini klingt nie gehetzt, die Soli sind entspannt, der dramatische Puls immer an der Handlung, selten hört man das so. Allein das lohnte schon die Aufführung.
 
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Verdis Frühwerk "Il Corsaro" leidet wie viele von des Maestros Galeerenopern unter Unvollkommenheiten, da steht musikalisch recht Schablonenhaftes (vor allem die Chöre), schon neben echten Ensembleperlen und wunderschönen Orchestrierungsversuchen, auf jeden Fall das Interesse weckend, wie Verdi auf seinem Weg zu den Meisterwerken arbeitet. Die Vorlage zu Lord Byron ist auf den Weltschmerz des Piraten/ Dichters hin geeicht, der trotz seiner Liebe zu Medora nicht glücklich werden kann. Auf einem Kreuzzug gegen die bösen Muselmanen trifft er auf den fiesen Seid, der die erzwungene Liebe seiner Sklavin Gulnara nicht erringen kann. Pirat Corrado rettet den Harem aus einer Feuerhölle und wird gefangengenommen. Gulnara will den lethargischen Helden aus dem Kerker befreien und Seid töten lassen, was der Weltschmerz-Held ablehnt, so schreitet, wie weiland Judith zu Holofernes, Gulnara selbst zu Werke. Mittlerweile hat sich Medora in fatalem Verhängnis vergiftet. Als Corrado und Gulnara doch noch eintreffen, können sie noch ein wunderbares Sterbeterzett singen, bis sich letztendes auch der Held von der Klippe stürzt. Dramaturgisch nicht wirklich glücklich, läßt dieses Stationendrama jedoch immer wieder spannende Einzelszenen zu, wäre damit eigentlich für eine konzertante Wiedergabe perfekt geeignet. Zürich gönnt sich jedoch die Szene, und wirklich gelingt es Damiano Michieletto, das Beste aus der Vorlage zu machen. Gleich einer Revue entstehen beeindruckende Bilder mit einem ornamental geführten Chor, die Solisten dürfen sich auf dem unglaublichen Bühnenbild Paolo Fantins, der die gesamte Zürcher Bühne geflutet hat, auf Bett und Schreibtisch, die gleich Flößen über die Bühne schwimmen, vorwiegend ihren vokalen Aufgaben widmen. Schräg gestellte Spiegel reflektieren die gesamte Show, die in der Szene mit dem brennenden Serail spektakulär mit einer ganzen Feuerwand aufwartet. Begeisterung beim Publikum !
 
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Eivind Gullberg Jensen paßt am Pult des engagierten Opernorchesters auf, daß kein Rumtata-Verdi abgespult wird, sondern sorgt für eine feine, ausgewogene Interpretation mit zauberhaften Orchstersoli, bietet den Sängern einen denkbar guten Teppich für ihre wirklich beachtlichen Vokalisen. Vittorio Grigolo entspricht nicht nur dem Aussehen nach dem Idealbildnis des romantischen Poeten, sein Corrado hat melomanen Biß, wenn auch in den Höhenlagen seines hell klingenden Tenors einige Anstrengungen zu vernehmen sind, ein Held will halt auch etwas gestemmt sein. Die beiden Damen sind perfekt besetzt: die lyrische Elena Mosuc als zarte Medora singt mit samtig behauchten Piani und perlend verblendeten Koloraturen, Carmen Giannattasio ist für mich eine echte Entdeckung als dramatischer Verdi-Sopran, mit Attacke und Feuer bei leicht metallener, doch angenehmer Höhe ersingt sie mit strahlenden Finaltönen Gänsehaut. Leider kommt für Renato Bruson der Seid einfach deutlich zu spät, in dieser Partie darf man nur von Scheitern sprechen, die Stimme klingt fahl und ausgefranst, schade. Giuseppe Scorsin gibt als Giovanni effektvoll die nötigen Stichworte für die Hauptpartien. Die Chöre singen, wie immer in Zürich, versiert und sicher. Das Publikum ist ob der Rarität entzückt, und ob der Darbietung, wie bereits gesagt, begeistert.


Weitere Informationen unter: www.opernhaus.ch


Martin Freitag – für Musenblätter (www.musenblaetter.de) - Teil 2 morgen!
Redaktion: Frank Becker