Treffen auf Wolke 17

Jahrestage

von Wolf Christian von Wedel Parlow

Foto © Frank Becker
Treffen auf Wolke 17
 

Hallo Albert, schön, dich mal wieder zu sehen.
Hallo, Jimmy, alter Freund, hab dich lange nicht gesehen.
Gratuliere noch zu deinem Fünfzigsten. Sie feiern dich ja mächtig dort unten. Aber du hast es verdient.
Verdient, ach was, Jimmy. Ich habe einfach nur gelebt. Schreiben war für mich wie für einen Maurer sein Handwerk, immer Stein auf Stein, und zu sehen, wie es wächst, die Mauer oder meine Geschichte. Es war nichts Besonderes, nichts, weswegen man mich feiern muß. Wirklich, ich habe einfach nur gelebt.
Ich weiß, du hättest gern länger gelebt. Aber dieser verdammte Gallimard, der die Reifen nicht aufgepumpt hatte.
Ach, laß doch den Gallimard in Frieden! Ich seh ihn oft. Er hat mich ja nur um ein paar Tage überlebt. Was weiß man, warum so ein Reifen platzt. Denk lieber darüber nach, warum du das Licht nicht eingeschaltet hattest!
Als ob ich nicht ständig darüber nachdächte, Albert. Klar war das ein Fehler. Es war ja schon dämmrig. Aber was hätte das genutzt? Das Problem war doch, daß dieser blöde Turnupseed sich nicht auskannte. Er hatte nur die Straßenschilder im Auge, weil er nicht wußte, ob er schon an dieser Kreuzung abbiegen sollte oder erst an der nächsten. Erst im letzten Moment entschied er sich für diese Kreuzung. Da war es schon zu spät für ein Bremsmanöver.
Gräm dich nicht, Jimmy! Wer weiß, wozu es gut war. Erst durch den frühen Tod wurdest du die Kultfigur der Jugend damals. Man stelle sich das vor, du spielst in drei Filmen und schon bist du Kult. Ich war nie Kult.
Hör mal, ich dachte, Ruhm bedeutet dir nichts. Jetzt klingst du, als seiest du sogar etwas neidisch auf mich. Sei doch zufrieden! Bei meinem Fünfzigsten jetzt vor fünf Jahren gab es keine Feier, keine Retrospektive. So ein Kult geht schnell zu Ende. Deine Texte lesen sie immer noch. Guck mal, das ist doch der Jörg. Hallo Jörg, was für ein Zusammentreffen! Wir sprechen gerade über die Unfälle, durch die wir zu Tode gekommen sind. Da fehltest du noch. Bei dir war es doch auch ein Auto. Kam es eigentlich von hinten oder von vorn?
Erst mal, guten Tach zusammen! Was ihr da für ein Thema habt! Na ja, paßt irgendwie zu dem Wetter. Diese nebelige Brühe. Ob es von vorn kam oder von hinten? Laßt mich doch mit dem alten Kram in Frieden! Ich will nicht mehr davon reden. Jetzt möchte ich erst mal den Albert hochleben lassen. Da könnte man ja richtig neidisch werden bei dem Bohai, den die Leute dort unten machen zu seinem Fünfzigsten, sogar in Deutschland, sogar in Wuppertal. Findest du nicht auch, Jimmy, daß wir das feiern sollten?
Ja, sollten wir. Und dich gleich mit. Von dir erschien doch gerade eine Gesamtausgabe. Alles drin, der Schneemann und Kant und die anderen Sachen. Neun Bände. Jetzt bist du Kanon, Mensch, Glückwunsch! Beim Film gibt’s so was nicht.
Jammre doch nicht gleich, Jimmy! Wer weiß, was die vom Film sich noch ausdenken, um Leute wie dich zu feiern. Mensch, so was wie die Giganten, das vergißt du doch nicht. Du kommst bestimmt noch mal groß raus. Und was mich betrifft, bei Lebzeiten war ich doch nur eine ganz kleine Nummer.
War es deswegen, daß Du Schluß gemacht hast?
Frag mich nicht danach, Albert! Ich hab doch gesagt, daß das kein Thema ist für mich.
Ich dachte, hier oben könnten wir über alles reden, Jörg. Die dort unten kriegen davon doch nichts mit. Keine Gazette kann drucken, worüber wir hier reden.
Ist ja gut, Albert, aber ich bin noch nicht soweit.
Hör mal, Jörg, nach 23 Jahren!
Jetzt ist aber Schluß, Albert!



© Wolf Christian von Wedel Parlow - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2010

Redaktion: Frank Becker