Hagenbuch und die Erschaffung der Welt (2)

von Hanns Dieter Hüsch

   © André Poloczek - Archiv Musenblätter
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Der Henker
So Hagenbuch
Der Henker habe das Beil schon hoch in der Luft gehabt
Da habe der Hinzurichtende gesagt
Ich bin gar nicht der den Sie meinen
Darauf habe der Henker das Beil sachte zur Seite genommen
Und habe gesagt
O dann hab ich Sie falsch verstanden
Worauf der Henker den Hinzurichtenden
Wieder vom Richtblock geschnallt
Wonach der Hinzurichtende schnell zu seinem Hause geeilt
Dort aber von den Nachbarn erfahren habe
Daß seine Frau inzwischen den Frieder zum Manne genommen
Worauf der Hinzurichtende gesagt habe
Dann hab ich das Ganze wohl falsch verstanden
Und um sich zu trösten sei er ins Wirtshaus gegangen
Und dort sogleich auf den Chefvollstrecker gestoßen
Der habe gerufen
Sie leben ja noch
So war das doch nicht gemeint
Dann hat mich der Henker wohl falsch verstanden
Worauf der Hinzurichtende willig
Sich wieder vom Chefvollstrecker zurück
An die Richtstätte abführen ließ
Und der erstaunte Henker habe gesagt
O Chef dann hab ich Sie falsch verstanden
Und der Chefvollstrecker habe geantwortet
Er habe es so nicht gemeint
Und der Hinzurichtende habe hinzugefügt
Er habe das Ganze wohl falsch verstanden
Und habe sich wieder anschnallen lassen
Worauf der Henker das Beil gehoben
Und der Hinzurichtende wiederum sagte
Ich bin gar nicht der den Sie meinen
Und der Henker habe das Beil wieder sachte zur Seite genommen
Und gesagt
O dann hab ich Sie falsch verstanden
Und habe den Hinzurichtenden wieder vom Richtblock
Geschnallt undsofort undsofort undsofort
 
Undsofort undsofort
Habe Hagenbuch nun immer wieder gesagt
Undsofort undsofort
So Prager und Kretzschmer heute
Undsofort undsofort undsofort
Und Prager und Kretzschmer
Wären mit eingefallen
Undsofort undsofort undsofort
Dann hab ich das falsch verstanden
Habe Prager gesagt
Und Kretzschmer
Ich bin gar nicht der den Sie meinen
Und Hagenbuch
O dann hab ich Sie falsch verstanden
Und dann alle drei unisono zusammen
Dann hab ich das falsch verstanden
So Prager und Kretzschmer heute
Und Hagenbuch habe dann dirigiert
Und immer schneller und lauter
Wäre ein richtiger Kanon entstanden
 
Dann hab ich das falsch verstanden
O das war aber nicht
So gemeint
Dann hab ich das falsch verstanden
O das war aber nicht
So gemeint
 
Und plötzlich wären alle Milchkannenträger hinzugekommen
Und hätten in diesen einfachen
Aber schließlich völlig verrückten Kanon
Miteingestimmt
 
Und es wäre ein Singen
Ein Lärmen
Und ein Klappern mit den Kannen gewesen
 
Dann hab ich das falsch verstanden
O das war aber so nicht gemeint
Dann hab ich das falsch verstanden
O das war aber so nicht gemeint
 
Ein Singen
Ein Lärmen
Und ein Klappern mit den Kannen
 
Und schließlich sei
Schwester Frau Klytemnästra erschienen
Und
Heinz der Chauffeur
Und Schwester Frau Klytemnästra
Habe die Milchkannenträger auseinandergetrieben
Und herumkommandiert
 
Alexander der Große sofort ins Haus
Odysseus hierhin
Einhart von Reutlingen bist du jetzt artig
Marsch ab ihr dummen Kinder
Und daß ihr mir keine Milch verschüttet
Gneisenau wie siehst du denn aus
Los jetzt
Und Hagenbuch schließe das Fenster schließe das Fenster
Aber Hagenbuch
So Prager und Kretzschmer heute
Habe das Fenster nicht geschlossen
Sondern nach dem Gärtner gerufen
Ferdinand XII möge sogleich erscheinen
Und der Gärtner
Wäre tatsächlich gekommen
Und habe gesagt
Er sei in Wirklichkeit Reichsverweser
Und Hessen und Nassau und Braunschweig und Anhalt
Seien ihm zugeteilt
Habe der Gärtner gesagt
Aber jetzt habe er einerseits
Die orthopädischen Pflanzen
Und andererseits
Die gemütskranken Pflanzen
In Obhut
Und habe die Beete zu ordnen
Die Wege zu pflegen
Die Gräser zu wässern
Und die Steine zu säubern
 
Und Hagenbuch
So Prager und Kretzschmer heute
Sei dann aus dem Fenster gesprungen
Und wochenlang mit Ferdinand XII im nahe gelegenen Wald
Wochenlang auf und ab gegangen
Und der Gärtner immer hinter Hagenbuch her
Mit Stiefmütterchen und Vergißmeinnicht
In den Händen
Und Hagenbuch habe am neunten Tage gesagt
Daß man die Schwachen immer hänsele und erniedrige
Obwohl jeder wisse
Daß nur die Schwachen
Güte und Großzügigkeit
In die Welt gebracht
Und die Starken immer die Welt am Ende zerstört
Aber immer seien die Schwachen
Ob ihrer Schwäche
Gehänselt und erniedrigt worden
Bis sie an Schwäche gestorben
Aber auch die Starken wären gestorben
Und alles Durchsetzen habe ihnen nicht weitergeholfen
So wenig wie alles Aufgeben den Schwachen weitergeholfen
Aber die Schwachen
Hätten die Güte unterirdisch
Aufrechterhalten
Und die Starken wären nur stark gewesen
Weil sie in Wirklichkeit schwach
Und die Schwachen wären immer viel stärker gewesen
Weil sie in Wirklichkeit stark
Aber die Welt sei aus einem völlig falschen Verständnis heraus
Geschaffen
Und so sei auch diese Erkenntnis
Wiederum falsch und umsonst
Und bringe niemanden weiter
Obwohl dies die älteste Menschenkrankheit sei
Die Hoffnung weiterzukommen undsofort undsofort
 
Und der Gärtner
Habe Hagenbuch immer die Blumen und Pflanzen getragen
Und beide seien sie wochenlang im Walde gewesen
Und tagelang um Haus Geistesnot herumgegangen
Und hätten sich ihre Köpfe zerbrochen
 
Bis dann der Tag gekommen
An dem der oberste Leiter
Der Anstalt Bless-Hohenstein
Der sehr ehrenwerte Professor Eduard von Bleiberg
Hagenbuch zu sich gebeten
Um nun zu sagen
Daß er
Der oberste Leiter
Für ihn
Mein Lieber Herr Hagenbuch
Nichts mehr tun könne
Auch das Ärzteteam Löchel Pietsch und Zehetmayer
Sowie die Kollegen Steinmann Kringel und Försterling
Sei ohne Ergebnis
Ohne Ergebnis
In seinem Fall
Ohne Ergebnis
Und Heinz der Chauffeur würde ihn nun
Mein Lieber Herr Hagenbuch
Zurück zu seiner Behausung fahren
Dort solle er
Mein lieber Herr Hagenbuch
Sich weiter ans Fenster setzen
Seinen Apfeltee trinken
Und in die Ferne schauen
 
Und Hagenbuch soll so getan haben
So Prager und Kretzschmer heute
Und heute noch
Säh man ihn dort
Und er schaue auf Argumente und Exkremente
Und wisse von Tag zu Tag mehr und mehr
Daß die sogenannte Welt aus einem völlig falschen Verständnis
Heraus geschaffen worden sei
Und jeder wisse dies auch inzwischen
Aber keiner wolle es wahr haben
Weil niemand schwach sein dürfe
Weil alle stark sein müßten
Die Professoren wie die Gärtner
Die Milchkannenträger und die Schwestern
Weil alle
So Hagenbuch
Sich völlig falsch verstünden
Und kein Wort mehr auf dem anderen bliebe
Und kein Gedanke sich mit dem anderen verbinde
Aber das wäre die Welt
Und das wäre der Wahnsinn
Dem man endlich zustimmen solle
Um sich und die Seinen zu heilen
Im Namen der Schwäche
So Hagenbuch
Der Schwäche in Ewigkeit aussichtslos
Unüberblickbar nichts mehr und nur noch vergänglich
Und aufrecht in Dankbarkeit



© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus dem Band "Hagenbuch hat jetzt zugegeben & andere Rede- und Schreibweisen"
in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung