Schreckensvision

Peter Schwindt - "Schwarzfall"

von Frank Becker
Was wäre wirklich, wenn...?

Der Verlag nennt diesen Roman einen Thriller - das ist zwar richtig, denn er sorgt für Thrill, Gänsehaut und Angst vor dem, was da geschieht. Doch das Buch ist viel mehr als nur ein spannender Roman, weil es so erschreckend nah an einer jederzeit möglichen Wirklichkeit ist, daß man den Schweiß seines Personals förmlich riechen, die wachsende Beklemmung und Ratlosigkeit der einer übermächtigen Situation ausgeliferten Protagonisten spüren kann.

Sind wir uns bei unserem üblichen sorglosen Tagesablauf darüber im Klaren, wie existenziell abhängig wir uns längst von der Elektrizität gemacht haben? Macht sich irgendwer Gedanken darüber, was wirklich geschähe, wenn die Stromversorgung plötzlich zusammenbräche? Gibt es eigentlich staatliche und/oder kommunale Notfallpläne und ausreichend Energiereserven, um einen solchen Zusammenbruch zu überstehen? Ist die sogenannte Ordnungsmacht überhaupt in der Lage, einem solchen Ereignis angemessen entgegenzutreten? Man muß befürchten, daß dies nicht der Fall ist. Peter Schwindt läßt in dem Roman "Schwarzfall", der auf der Umschlagrückseite den apokalyptischen Untertitel "Die letzten Tage von Frankfurt" trägt, wenig Hoffnung.

Ein unendlich langer, heißer Sommer, in dem die Temperaturen seit Wochen nicht unter 30º Celsius gefallen und die Menschen dünnhäutig geworden sind, gibt den nicht mehr zu kühlenden Kraftwerken den Rest. Ein kollabierender Meiler reißt den nächsten mit, in einer Kettenreaktion fällt erst regional, dann in der ganzen Republik der Strom aus. Kein Licht, keine Ventlation mehr, Supermarktkassen, Geldautomaten, Tanksäulen, Kühlschränke, Verkehrsampeln, Fahrstühle, die Flugsicherung, das Telefon, das Radio, Mobiltelefone sind außer Betrieb. Schwindt nimmt die Stadt, in der er mit seiner Familie lebt
als pars pro toto: Frankfurt am Main: "Ein kurzes Flackern kündigt die Katastrophe an: plötzlich geht gar nichts mehr". Es braucht nicht lange, um in der im reinsten Wortsinn aufgeheizten Stimmung bestehende Ordnungen erst zum Wanken, dann in Windeseile zum Kippen zu bringen.

Wir wissen es von temporären Stromausfällen der Vergangenheit in verschiedenen amerikanischen Zentren: lupus est homo homini - der Mensch ist dem Menschen Wolf. Es kommt zu unkontrollierter Gewalt, Plünderungen, Kriminalität, Gebrauch von Waffen. Die Versorgung bricht zusammen. Unser Sozialsystem ist ohnehin derart geschwächt, daß im Handumdrehen die staatliche Ordnung hinweggefegt wird, das Recht des Stärkeren, Rücksichtsloseren  und Haß sich Bahn brechen. Die Polizei ist völlig machtlos. Peter Schwindt entwickelt das Schreckensszenario im Bereich einer Großstadt am Verhalten von Menschen verschiedener Schichten - man kann sich nicht der trügerischen Hoffnung hingeben, daß irgend etwas, irgend wer im Stande sein würde, den Zerfall der Gesellschaft aufzuhalten - außer, der Strom käme zurück...

Peter Schwindts Roman ist Science und Social Fiction oder, wie man es auch nennt: Faction - und er folgt einer einfachen Logik. SF-Autoren haben sich schon oft und immer wieder mit dem gleichen bestürzend negativen Ergebnis in Variationen des Themas angenommen, dem Tod der Megalopolis. Unser System ist höchst fragil. Wir sind ihm ausgeliefert. Kein tröstlicher Roman, doch sehr spannend.
 
Beispielbild


Peter Schwindt
Schwarzfall
Thriller
 
© 2010 (erscheint im April) Piper TB 5816
320 Seiten, kartoniert, ISBN 9783492258166
€ 8,95 [D], € 9,20 [A], sFr 16,90
 
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