Komm tanz mit mir
Ein Stück von Pina Bausch
Unter Verwendung von alten Volksliedern
(gesehen in Wuppertal am 20.02.2010 - Inszenierung und Choreographie: Pina Bausch - Bühne und Kostüme: Rolf Borzik - Mitarbeit: Marion Cito, Hans Pop - Neueinstudierung: Bénédicte Billiet, Matthias Burkert, Jo Ann Endicott, Dominique Mercy Das Ensemble: Regina Advento, Pablo Aran Gimeno, Andrey Berezin, Damiano Ottavio Bigi, Aleš Der dritte Gong ertönt, die Türen öffnen sich, Zuschauer strömen herein und sind bereits mitten im Stück. Der „Eiserne“ (Brandvorhang) teilt die Bühne. Vorne steht mit ein Liegestuhl. Darin ein Mann mit weißem Anzug, weißen Schuhen und schwarzem Hut. Regungslos schaut er durch eine schmale Tür auf die hell erleuchtete Bühne hinter dem Eisernen. Später wird er aufstehen und wir sehen, daß er zusätzlich eine Sonnenbrille trägt, die zusammen mit dem Hutschatten Teile seiner Mimik und damit auch seine Gefühlsregungen verbirgt. Hinter dem Türausschnitt wandern ständig ganz in schwarz gekleidete Männer mit langen Mänteln und Hüten vorbei. Frauen in durchsichtigen, leichten Chiffonkleidern laufen parallel, setzen oder legen sich kurz, stehen auf, gehen weiter und singen leise eine nicht verständliche Melodie. Einige schauen kurz neugierig hinaus.
Julie Shanahan tritt im knallroten Kleid auf. „Komm tanz mit mir“, fordert sie Urs Kaufmann, den Mann im Liegestuhl auf. Josephine Ann Endicott hatte diese Rolle 1977 bei der Uraufführung und Jean Mindo die des Mannes. Der Mann wandert inzwischen stoisch am Bühnenrand auf und ab. „Komm tanz mit mir, komm tanz mit mir“ (...ich hab ne weiße Schürze für...), fordert Julie ein ums andere mal, lockend, fordernd, kokett, lachend, wütend, schreiend. Es bleibt bei dem Mann ihres Begehrens ohne Resonanz. Die schwarz gekleideten Männer springen ihr bei, haken sie unter und vollführen einige Tanzschritte.
Das Spiel wiederholt sich. Trotzig tanzt Julie ein kurzes Solo. Szenen und Aktionen auf der übrigen Bühne überschneiden sich, zeigen den mißverständlichen Umgang
zwischen den Geschlechtern. Frauen werden von den Männern im sprichwörtlichen Sinne behütet. Die Hüte stapeln sich auf dem Kopf, doch die Last der Fürsorge erdrückt. Eine Frau schlägt den Männern ihre Kopfbedeckungen herunter. Aggression und Annäherungsversuche wechseln sich ab. Mit Bäumen und Ästen werden die Frauen hin und her gejagt, eine gar mit einer riesigen Astgabel die Rutsche hinauf getrieben. In einer anderen Szene tragen mehrere Männer eine Frau auf Birkenzweigen liebevoll über die Bühne. Ein echtes, herzliches Zusammentreffen findet nicht statt. Trennende Ratlosigkeit beherrscht das gewünschte Gemeinsame. Männer und Frauen schotten sich ab, bleiben überwiegend in ihrer eigenen Gruppe.
Im Mittelpunkt bleibt das Werben der beiden Hauptdarsteller, ihr Unverständnis füreinander. Es geht um Macht und Unterwerfung, obwohl doch Liebe, Zuneigung und Hoffnung gemeint sind.
„Komm tanz mit mir“, versucht Julie es erneut. Urs Kaufmann sitzt wieder in seinem Liegestuhl, seine Körperhaltung signalisiert Angriff. „Sag, daß Du mich liebst“, schleudert er ihr entgegen. Weinerlich schüchtern sagt sie es. „Das glaub ich Dir nicht. Sag´s noch einmal“. Immer herrischer werden seine Forderungen: „Leg dich hin! Zieh dich aus! Setz dich auf meinen Schoß!“ Ängstlich folgt sie seinen Befehlen, ohne die gewünschte Zuneigung zu erhalten. Ein entschlossener Ruck geht durch die Frau. Sie persifliert die Szene. Seine eigenen Befehle schreit sie anklagend heraus, wirft sich auf den Boden, setzt sich auf seinen Schoß…
Endlich zeigt er eine Regung, ist erschrocken, springt auf. „Es ist meine Schuld“, ruft er erregt. „Nein,
Die Schlußszene: Das Paar hat sich gefunden, steht untergehakt in einer Reihe mit den schwarzen Männern, die mit kraftvollen Schritten, zuletzt springend und hüpfend dem Publikum entgegen gehen. In ihrer Mitte erschöpft und gebrochen Mann und Frau. Mit kraftlosen Tanzschritten lassen sie sich mitziehen. „Komm tanz mit mir, komm tanz mit mir“, fordern derweil die fröhlich springenden Männer das Publikum auf. Das zögert einen Augenblick, bis Beifall aufbraust. Der Kampf ist vorüber. Es gibt keine Sieger. Die Erschöpfung ist echt und körperlich spürbar.
Ein wuchtiges Stück, entstanden 1977, im gleichen Jahr wie „Blaubart“ und sicherlich auch aus ihm heraus entwickelt. Die Essenz: Der Geschlechterkampf wird wohl nie enden. In heutiger Zeit stellt er sich vielleicht nicht mehr so archaisch dar, diffiziler jetzt, vorhanden aber nach wie vor. Pina Bausch hält uns immer wieder den Spiegel vor, auch posthum.
Den Hauptpart tanzte Josephine Ann Endicott am 18. und 19.02., Julie Shanahan am 20. und 21.02.2010. Urs Kaufmann an allen Aufführungstagen.
Zum Schluß bat ein Bühnenmitarbeiter um Beachtung des Termins 27.03.2010 „Theatertreffen in Wuppertal“, an dem viele Deutsche Bühnen teilnehmen werden, um gegen die drohende Schließung des Schauspielhauses Wuppertal zu demonstrieren.
Anmerkung der Redaktion: Heute werden Pina Bauschs Stücke allgemein verstanden. Bei der Uraufführung im Mai 1977 trat vor der Vorstellung Hanno Lunin, der glücklose damalige Intendant der Wuppertaler Bühnen vor das Publikum, um mit einer gewissen Überheblichkeit, in die sich auch die Angst eines Skandals mischte, das kommende Stück zu „erklären“. Es hat nichts genützt. Etliche Premieren-Zuschauer verließen laut schimpfend und heftig die Türen schlagend den Saal des Schauspielhauses, das durch Pina Bausch neue Bedeutung bekam und das heute durch verfehlte Politik von der Schließung bedroht ist. Ein Stück Theatergeschichte. F.B. Redaktion: Frank Becker
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