Komm tanz mit mir

Ein Stück von Pina Bausch - 1977/2010

von Jürgen Kasten

Dominique Mercy und Pina Bausch - Foto © Jan Minarik
Komm tanz mit mir
 
Ein Stück von Pina Bausch
 Unter Verwendung von alten Volksliedern

(gesehen in Wuppertal am 20.02.2010
- Uraufführung 26.05.1977)
 

Inszenierung und Choreographie
: Pina Bausch - Bühne und Kostüme: Rolf Borzik - Mitarbeit: Marion Cito, Hans Pop - Neueinstudierung: Bénédicte Billiet, Matthias Burkert, Jo Ann Endicott, Dominique Mercy

Das Ensemble
: Regina Advento, Pablo Aran Gimeno, Andrey Berezin, Damiano Ottavio Bigi, Aleš
Čuček, Clémentine Deluy, Ditta Miranda Jasjfi, Nayoung Kim, Daphnis Kokkinos, Eddie Martinez, Thusnelda Mercy, Cristiana Morganti, Nazareth Panadero, Helena Pikon, Jorge Puerta Armenta, Franko Schmidt, Azusa Seyama, Julie Ann Stanzak, Michael Strecker, Fernando Suels Mendoza, Anna Wehsarg, Tsai-Chin Yu.



Der dritte Gong ertönt, die Türen öffnen sich, Zuschauer strömen herein und sind bereits mitten im Stück. Der „Eiserne“ (Brandvorhang) teilt die Bühne. Vorne steht mit ein Liegestuhl. Darin ein Mann mit weißem Anzug, weißen Schuhen und schwarzem Hut. Regungslos schaut er durch eine schmale Tür auf die hell erleuchtete Bühne hinter dem Eisernen. Später wird er aufstehen und wir sehen, daß er zusätzlich eine Sonnenbrille trägt, die zusammen mit dem Hutschatten Teile seiner Mimik und damit auch seine Gefühlsregungen verbirgt.
 
Hinter dem Türausschnitt wandern ständig ganz in schwarz gekleidete Männer mit langen Mänteln und Hüten vorbei. Frauen in durchsichtigen, leichten Chiffonkleidern laufen parallel, setzen oder legen sich kurz, stehen auf, gehen weiter und singen leise eine nicht verständliche Melodie. Einige schauen kurz neugierig hinaus. Das Licht im Saal dimmt herunter. Mit einem Knall fliegt die Tür zu und die Brandschutzwand verschwindet Richtung Schnürboden. Die weiß ausgelegte Bühne wird sichtbar. Der Belag ist zerkratzt und bäumt sich am Bühnenende zu einer riesigen Wand auf, gebogen wie eine Rutschbahn. Oben sitzt ein schwarzgekleideter Mann und angelt einen Hut. Unten tanzen Frauen und andere schwarzgekleidete Männer im Kreis um abgehackte Birkenstämme herum. „Hoppe hoppe Reiter…“ singen sie dabei. Volkslieder, vorgetragen vom Ensemble, durchziehen das gesamte Stück. Auf Musik aus der Konserve wird vollständig verzichtet. Einzig ein Lautenspieler (Andreas

Foto © Bettina Stöß
Limperg) begleitet gelegentlich die Lieder.
 
Julie Shanahan tritt im knallroten Kleid auf. „Komm tanz mit mir“, fordert sie Urs Kaufmann, den Mann im Liegestuhl auf. Josephine Ann Endicott hatte diese Rolle 1977 bei der Uraufführung und Jean Mindo die des Mannes. Der Mann wandert inzwischen stoisch am Bühnenrand auf und ab. „Komm tanz mit mir, komm tanz mit mir“ (...ich hab ne weiße Schürze für...), fordert Julie ein ums andere mal, lockend, fordernd, kokett, lachend, wütend, schreiend. Es bleibt bei dem Mann ihres Begehrens ohne Resonanz. Die schwarz gekleideten Männer springen ihr bei, haken sie unter und vollführen einige Tanzschritte.
Das Spiel wiederholt sich. Trotzig tanzt Julie ein kurzes Solo. Szenen und Aktionen auf der übrigen Bühne überschneiden sich, zeigen den mißverständlichen Umgang
zwischen den Geschlechtern. Frauen werden von den Männern im sprichwörtlichen Sinne behütet. Die Hüte stapeln sich auf dem Kopf, doch die Last der Fürsorge erdrückt. Eine Frau schlägt den Männern ihre Kopfbedeckungen herunter. Aggression und Annäherungsversuche wechseln sich ab. Mit Bäumen und Ästen werden die Frauen hin und her gejagt, eine gar mit einer riesigen Astgabel die Rutsche hinauf getrieben. In einer anderen Szene tragen mehrere Männer eine Frau auf Birkenzweigen liebevoll über die Bühne. Ein echtes, herzliches Zusammentreffen findet nicht statt. Trennende Ratlosigkeit beherrscht das gewünschte Gemeinsame. Männer und Frauen schotten sich ab, bleiben überwiegend in ihrer eigenen Gruppe.
Im Mittelpunkt bleibt das Werben der beiden Hauptdarsteller, ihr Unverständnis füreinander. Es geht um Macht und Unterwerfung, obwohl doch Liebe, Zuneigung und Hoffnung gemeint sind.
 
„Komm tanz mit mir“, versucht Julie es erneut. Urs Kaufmann sitzt wieder in seinem Liegestuhl, seine Körperhaltung signalisiert Angriff. „Sag, daß Du mich liebst“, schleudert er ihr entgegen. Weinerlich schüchtern sagt sie es. „Das glaub ich Dir nicht. Sag´s noch einmal“. Immer herrischer werden seine Forderungen: „Leg dich hin! Zieh dich aus! Setz dich auf meinen Schoß!“ Ängstlich folgt sie seinen Befehlen, ohne die gewünschte Zuneigung zu erhalten. Ein entschlossener Ruck geht durch die Frau. Sie persifliert die Szene. Seine eigenen Befehle schreit sie anklagend heraus, wirft sich auf den Boden, setzt sich auf seinen Schoß…
Endlich zeigt er eine Regung, ist erschrocken, springt auf. „Es ist meine Schuld“, ruft er erregt. „Nein,

Foto © Ulli Weiss
es ist meine Schuld“, erwidert sie lautstark. Hin und her geht es so. Der letzte anklagende Schrei kommt von ihr: „Ja, es ist Deine Schuld“. Bäume knallen donnernd  aus dem Bühnenhimmel herab, die Frau ist verschwunden. Jetzt wird ihm bewußt, daß etwas schief gelaufen ist. Aufgeregt rennt er umher,  ruft nach Julie, bittend, verzweifelt, suchend.
 
Die Schlußszene: Das Paar hat sich gefunden, steht untergehakt in einer Reihe mit den schwarzen Männern, die mit kraftvollen Schritten, zuletzt springend und hüpfend dem Publikum entgegen gehen. In ihrer Mitte erschöpft und gebrochen Mann und Frau. Mit kraftlosen Tanzschritten lassen sie sich mitziehen. „Komm tanz mit mir, komm tanz mit mir“, fordern derweil die fröhlich springenden Männer das Publikum auf. Das zögert einen Augenblick, bis Beifall aufbraust. Der Kampf ist vorüber. Es gibt keine Sieger. Die Erschöpfung ist echt und körperlich spürbar.
Ein wuchtiges Stück, entstanden 1977, im gleichen Jahr wie „Blaubart“ und sicherlich auch aus ihm heraus entwickelt. Die Essenz: Der Geschlechterkampf wird wohl nie enden. In heutiger Zeit stellt er sich vielleicht nicht mehr so archaisch dar, diffiziler jetzt, vorhanden aber nach wie vor. Pina Bausch hält uns immer wieder den Spiegel vor, auch posthum.
 
Den Hauptpart tanzte Josephine Ann Endicott am 18. und 19.02., Julie Shanahan am 20. und 21.02.2010. Urs Kaufmann an allen Aufführungstagen. In Wuppertal folgt im April das Stück „Kontakthof mit Teenagern ab 14“. Ein neues Stück wird es im Mai nicht geben. Stattdessen Wiederaufführungen von „Danzon“ und „Viktor“. Der Vorverkauf beginnt am 11. März.
Zum Schluß bat ein Bühnenmitarbeiter um Beachtung des Termins 27.03.2010 „Theatertreffen in Wuppertal“, an dem viele Deutsche Bühnen teilnehmen werden, um gegen die drohende Schließung des Schauspielhauses Wuppertal zu demonstrieren.


Anmerkung der Redaktion: Heute werden Pina Bauschs Stücke allgemein verstanden. Bei der Uraufführung im Mai 1977 trat vor der Vorstellung Hanno Lunin, der glücklose damalige Intendant der Wuppertaler Bühnen vor das Publikum, um mit einer gewissen Überheblichkeit, in die sich auch die Angst eines Skandals mischte, das kommende Stück zu „erklären“. Es hat nichts genützt. Etliche Premieren-Zuschauer verließen laut schimpfend und heftig die Türen schlagend den Saal des  Schauspielhauses, das durch Pina Bausch neue Bedeutung bekam und das heute durch verfehlte Politik von der Schließung bedroht ist. Ein Stück Theatergeschichte. F.B.
 
Redaktion: Frank Becker