Nachruf

von Horst Wolf Müller

Foto © Frank Becker
Nachruf
 
Mertes in Schwarz:
Anna, wie konnteste mir das antun und einfach aus dem Leben scheiden, jetzt, wo ich das Kirchendach vom Pantaleon zugesprochen bekommen han. Wie kannste ohne jegliche Vorwarnung von uns gehen. Ich laß mich generaluntersöke und du stirbst mit einer so seltenen und unbekannten Ursache wir Mikroembolie, an der rein statistisch überhaupt kein Mensch stirbt. Mann hett sich doch auf alles andere vorbereitet, aber davon wollteste nix wissen. DU wolltest deinen eigenen Kopf han, Anna, glövste mir dat?
Anna, du hest mich im Stich gelassen, oder anders gesagt, du hast mich der Nachwelt übergeben. Mitten im Fastelovend. Wo andere schlimmstenfalls vom Prunkwagen stürzen. Was bleibt jetzt nicht alles auf der Strecke? Unsere gemeinsamen Unternehmungen. Die Wanderungen im Bergischen Land, in der Eifel, Picknick an der Emscher!
War es nicht schön, wenn mer uns in der Oberarmpresse gehalten han? Unsere netten Schmusetouren, unsere Erfindungen neuer Kosenamen, unsere Unterhaltungen in künstlichem Esperanto, unsere unvollendeten Sätze? Unsere Monologe ohne Verba. Außerdem wollten wir noch Kurse in Französisch in Castelnaudary nehmen, hattste das vergessen?
Ich weiß, du wolltest mehr Ferien vom Ich, für dein Meditieren und für dein Totschweigen übler Gerüchte, was mich immer nervös gemacht hat – Vergebung! Und deine Arbeiten in Salzteig und die Krippenfiguren für Sankt Maria in Lyskirchen, und am Klavier heste fantasiert bis zur White Christmas, und ich wär in der gleichen Zeit am Dach von Pantaleon beschäftigt mit der Veränderung der Neigungswinkel, um Dachlawinen im Keim zu ersticken. Daß ich den Auftrag doch noch bekommen han, was du nie glauben wolltest. Aber die Wege des Episkopats sind unergründlich, denn ich bin nicht der Billigste gewesen beim Kostenvoranschlag.

(Er singt):
Jetzt schleußt er wieder auf die Tür
zum schönen Paradeis
der Klerus steht nicht mehr dafür
Gott sei Lob Ehr und Preis.
Dat is Ökumene.
 
Haste vergessen, daß deine beste Freundin Olivia durch eine Lawine in den Alpen so jämmerlich vom Leben zum Tode gebracht worden ist und wie du dann wochenlang Klaviermusik in As-Dur gespielt hast, um aus der Trauer heraus zu kommen. Und wie du nur noch im Flachland rochiert bist und keinen Berg mehr sehen wolltest? Und dann gehst du hin und stirbst ihr nach? Haste vergessen, wie dir auf halber Höhe vom Kilimanscharo ein Massai Feuer gegeben hat, für ne Zigarette zu rooche? Ich vergesse das nie.
Der Schottelius sagt immer, wer schnell lebt, lebt doppelt. Hättst du das vielleicht im Sinn gehabt, Anna? Könnt ich kaum glauben. Ich würd sagen, wir lebten beschaulich, gemächlich, vorsichtig. Du siehst es auch daran, daß ich nie vom Dach gefallen bin. Abgestürzt ja – aber nur auf ebner Erde. Im „Altertümchen“ zwei- oder dreimal, durch Cognac-Einwirkung. Du mochtest lieber den Armagnac oder den Grand Manier. Traurig, daß der jetzt in der Hausbar vor sich hin gammelt.
Und schon die ersten Anzeichen von Mottenfraß in unserem großen Gemeinschaftsschrank. Wär dir doch nie passiert. Et war, alles in allem, kein wohldurchdachter Schritt, mich hier als Witwer zurückzulassen.
Und in deinem Testament haste verfügt: a) Asche wird überm Atlantik verstreut, auf der Seeroute der Wikinger b) keinen Nachruf von Verwandten (Das hätte ich von selber gewußt.), c) weiter mithelfen bei der Kölner Tafel (Ich schätze, damit ist diese Schulspeisung gemeint.), d) Schluß mit den steilen Kirchendächern und nicht mehr Reparaturen auf Minaretten ausführen in deinem Alter, sonst kannst du dich bald zu mir dabeilegen (besser deutsch: dazu legen) ( Übrigens hattest du immer gesagt: dabei, was kein gutes Deutsch ist, deshalb hab ich den Passus am Grab auch weggelassen)
Dabei gesagt: Das Grab ist noch offen. Sollte mich ein kleiner Infarkt ereilen oder irgendein Aussetzer, wär doch eine Gelegenheit. Alles in allem – miese Bilanz. Und nicht, wie der Schmitz von nebenan faselt: Sie kann froh sein, daß sie’s hinter sich hat. Der Mann redet wirklich nur Blech. Ich sage: Schade, ewig schad zu gehen, Anna. Eigentlich unverzeihlich.
 
 
 
© Horst Wolf Müller - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2010