Koks und die Kunst des Bogenschießens

Leonce und Lena als Farce in Bochum

von Frank Becker
Eine Farce mit schönen Beinen
 
Anna Bergmann inszeniert
Büchners „Leonce und Lena“
 
 
Regie: Anna Bergmann - Bühne: Matthias Werner - Kostüme: Claudia Gonzalez Espindola - Dramaturgie: Dietmar Böck – Choreographie: Katja Uffelmann – Klang-Design: Heiko Schnurpel - Fotos: Birgit Hupfeld
Besetzung: Bernd Rademacher (König von Popo) – Ronny Miersch (Prinz Leonce, sein Sohn) – Sina Kießling (Prinzessin Lena von Pipi) – Sebastian Kuschmann (Valerio) – Michael Lippold (Die Gouvernante) – Katja Uffelmann (Rosetta) – Maximilian Strestik (Zeremonienmeister, Eskimo) – Manfred Böll (Präsident) - Statisterie
 
 

Party! - Foto © Birgit Hupfeld

Nachmärz, weit nach März
 
Nehmen wir mal an, Sie hätten noch nie Georg Büchner (1813-1837) gelesen, keines seiner Dramen auf der Bühne gesehen und schon gar nicht die intelligente, an Zeitkritik reiche Komödie „Leonce und Lena“ aus dem Jahr 1836. Nehmen wir außerdem an, daß Sie sich durchaus für Politik und Satire interessieren, sehr wohl eine geschliffene Farce von einer klamaukigen Klamotte zu unterscheiden wissen und die muffige Idylle der deutschen Spitzweg-Kleinstaaterei mit der ihr angemessenen ironischen Distanz sehen. Wie Büchner eben. Da hätten Sie aber gestern Abend im Bochumer Schauspiel einen ganz falschen Eindruck vom Vermögen des jung verewigten Vormärz-Dramatikers bekommen. Anna Bergmann machte in ihrer Inszenierung von „Leonce und Lena“, die Gestern und Heute – im Grunde ein guter Gedanke – mutig mischte, flache Witzchen und bemühte Gags auf Kosten der Idee.
 
Nackte Hintern, Flashman und nicht Osgood Fielding III
 
Da ist Lena der Name eines Parfums, Leonce eine Jeans-Marke und die (klein)staatliche Verwaltung

...fühlt sich wohl am Pol ohne - Foto © Birgit Hupfeld
findet nicht statt. Büchners 1836 á jour gebrachte Anlehnung an Shakespearsche Muster der Staats- und Verwechslungskomödien ist unübersehbar. Anna Bergmann schafft es aber trotz einiger durchdachter Ansätze, Matthias Werners Bühnenbild und guten Personals nicht, den Pipi-Popo-Witz Büchners umzusetzen, wenn es auch an Popos und Penissen nicht mangelt. Wir werden wohl nie erfahren, weshalb Valerio (Sebastian Kuschmann), Vertreter des Branchentelefonbuchs, sich urplötzlich im Wohnzimmer des Prinzen (Ronny Miersch) auszieht, dadurch des Prinzen Vertrauter wird, jener es ihm nachtut und beide (nichts gegen schöne Körper) dann nackt wie die California Dream Boys am Balkenwerk dortselbst herumklettern. Einen knackigen Hintern zeigt übrigens auch Mlle. Uffelmann, wenn sie widerwillig als Rosetta für Leonce tanzt. Na, und Whisky wird in ungeheuren Mengen gesoffen, ohne daß ein Koma eintritt.

Nobody is perfect

Auch werden wir keinen Hinweis darauf finden, wieso (ich greife hier weit voraus) Valerio später als „Flashman“ in der Arktis zur Melodie von „This Guy´s in Love“ einen immerhin witzigen Paarlauf mit Silver-Girl (Michael Lippold, al. Gouvernante) hinlegt, die wiederum (mein Gott!) gar keine Dame ist, sondern – welche Überraschung, wir haben es bis dahin wirklich nicht gemerkt... – ein Mann! Und als sie/er sich schließlich dem verliebten Valerio (Sebastian Kuschmann ist neben Bernd Rademacher nahezu – dazu später ein Wort – die einzige Offenbarung in dieser Inszenierung) als Penisträger offenbart, wartete das Publikum atemlos auf die letzte Plattitüde, den Schlußsatz aus „Some like it hot“ : „Nobody is perfect“. Aber den konnten sich Bergmann/Böck noch gerade so verkneifen.
 
Polnareff und schöne Beine
 

Die 1. - Foto © Birgit Hupfeld
Was bekommen wir? Einen koksenden, cholerischen Leonce, billiger Michel Polnareff-Verschnitt und veritables Arschloch, das unbedingt (hallo Pete Townshend!) seine Gitarre zertrümmern muß und ganz marginal mitunter die Züge eines Kaspar Hauser annimmt. Dazu eine Lena (Sina Kießling) als Paris Hilton-Kopie, kaum weniger aggressiv und ebensowenig liebenswert wie ihr künftiger Gatte. Wir haben zwei Klischee-Schwuchteln (Alexander Ritter, Sebastian Zumpe), die sich um die Garderobe des Königs kümmern, zwei lächerliche Quentin-Tarantino-Typen, einen Eskimo am Südpol (!) - oder wie erklären Sie es sich, daß im Hintergrund Pinguine über die Leinwand spazieren, während vorne ein Iglu entsteht? -, eine tanzbegabte Haushofdame Rosetta (Katja Uffelmann), Schlittenhunde, Polarlichter und Partyvolk. Womit wir beim eigentlich Erfreulichen der Inszenierung sind. Denn unter dem Strich bleibt das Fazit: Alles in allem ein Stück der schönen Beine. Mit denen wirft die Inszenierung üppig um sich, die Statisterie scheint dankenswerterweise geradezu danach ausgesucht. Und für die Beine zeichnet zum einen Prinzessin Lena, die stets - selbst in der (Ant)Arktis - kurzgeschürzt über die Bühne schreitet und gleitet, vor allem aber die bezaubernde Statisterie, die hier explizit erwähnt werden muß. Denn „Die erste von links“ und die dritte von rechts (mit dem violetten Kleidchen) waren die optischen Offenbarungen des Abends. Durch sie bekam der langatmige Abend seinen versöhnlichen Reiz.
 
Striche dringend angeraten
 
Nun wollen wir aber, abgesehen von den schönen Mädchenbeinen (für die Herren) und den leckeren

Die "Automaten"-Hochzeit - Foto © Birgit Hupfeld
Männer-Popos und -Pimmeln (für die Damen) nicht die ganze Inszenierung für mißlungen erklären. Bernd Rademacher lieferte als König von Popo in der Schlußsequenz, der "Automaten-Hochzeit" eine herrliche, humorvolle Interpretation ab. Grauenhaft wiederum war das erbarmungslose in die Länge Ziehen des Stückes, das mit 2 Stunden 20 Minuten angekündigt, nach 2 Stunden 50 Minuten endete. Das möchte man sich trotz der schönen Beine nicht noch einmal antun. Energische Striche scheinen hier dringend angeraten. Das Premieren-Publikum verhielt sich reserviert. Auch wenn die übliche Claque anderer Meinung zu sein schien.
 
Weitere Informationen unter: www.schauspielhausbochum.de