Sieg der reinen Menschlichkeit

Staatstheater Nürnberg: "Sweet Charity"

von Alexander Hauer
Staatstheater Nürnberg 
Sweet Charity
 
Neben der mehr als lobenswerten Pflege des viel zu selten gespielten Belcantofachs wird in Nürnberg unter der Intendanz Peter Theilers auch die neuere Form des Musiktheaters gepflegt. Nach den fulminanten „Seidenstrümpfen“ der letzten Saison legten die Nürnberger noch einmal eine Schippe drauf. 1966 betrat die „süße Barmherzigkeit“ erstmals das Neonlicht des Broadways und siegte auf der ganzen Linie. Nach Fellinis Film „Le Notti di Caribia“ (1957) schufen Neil Simon und Dorothy Fields eine etwas entschärftere Form für New York. Aus der römischen Vorstadthure wurde bei ihnen die das naive Animiermädchen Charity. Cy Coleman brach mit seiner Musik alte Traditionen auf, brachte neben dem gängigen Broadwaysound, geprägt von Lerner, Loewe und Schwarz, Tanz und Unterhaltungsmusik auf die Bühne.
 
Kai Tietjens arrangierte die Musik für die Nürnberger Philharmoniker, verstärkt durch einige Gäste, neu. Stefan Huber läßt das ganze in einem von Harald Thor geschaffenen Zirkusrund spielen, bleibt aber mit seiner Handlung in den 60ern. Die Kostüme von Susanne Hubrich unterstreichen die Charaktere der Protagonisten. Die Farben rot und schwarz dominieren, die High Society tragt ein silbriges Blau, einzig Charity kommt in einem kanariengelben Hängerchen daher.

Frederike Haas - Foto © Ludwig Olah
Frederike Haas ist Charity, jenes süß naive Vögelchen, das sich, anders als Tweety, nicht gegen die bösen Kater zu wehren weiß. In ihrem gelben Kleidchen mit den roten Strümpfen hat sie auch kaum eine Chance, sich gegen ihre aufgedonnerten Kolleginnen, überragend Stefanie Dietrich und Franziska Lessing als Helene und Nickie, im Fandango Club durchzusetzen. Auf ihrer verzweifelten Suche nach Glück trifft sie auf Vittorio Vidal, ganz auf Italo-Lover getrimmt Gerd Achilles, der sie sofort wieder für seine Ex verläßt und auf den neurotischen Oscar (Alen Hodzovic), den Traum aller Schwiegermütter. Mit Oscar scheint sie auch die große Liebe gefunden zu haben, aber kann seine Zwangsvorstellung, eine Jungfrau in die Ehe führen zu müssen, nicht überwinden. Er beendet seine Beziehung zu Charity genauso wie Sun Glass zu Beginn des Musicals. Er wirft sie in den See des Central Parks, nur daß Charity diesmal ihr Geld behält und sich selbst an Land retten kann.
 
Markus Buehlmann treibt mit seiner Choreographie  sein Ensemble  zu Höchstleistungen an. Der „Rich Man’s Frug“ gerät zu einer sensationellen modern Dance Performance, die Tanznummer zu „Rhythm of life“, angeführt von Cedric Lee Bradley als Daddy Brubeck, zu einer ironischen Verklärung des Hippiekults, sein „Big Spender“ wird durch das Damenensemble zu heißester Erotik. Bis auf Charity sind alle Darsteller mehrfach besetzt. Unter ihnen ragt Ansgar Schäfer als bärbeißiger Barbesitzer Hermann the German und vier weiteren Rollen auf.
 
Der Abend ist aber mehr als die Summe seiner Teile. Ohne erst den Versuch zu machen das Stück zu aktualisieren, bleibt Stefan Huber konsequent in der Gedankenwelt der 60er. Verklemmtes Spießertum (Oscar) neben falscher großer Welt (Vittorio), Flucht in Drogen und Ersatzreligionen (Daddy Brubeck) verlieren gegen die reine Menschlichkeit, die naive Hoffnung auf Besseres. Frederike Haas läßt diese Hoffnung stimmsicher immer wieder aufblühen.
Der Abend endete unter lang anhaltenden Applaus für Darsteller und Regieteam. Nürnberg liefert mit dieser „Charity“ wieder einmal den Beweis, daß ein Staatstheater neben der „großen“ Oper durchaus in der Lage sein kann, auch die vermeintlich „leichte“ Muse zu bedienen.


Ensemble - Foto © Ludwig Olah
 
Weitere Informationen unter: www.staatstheater-nuernberg.de 
Redaktion: Frank Becker