Ein Emanzipationsdrama

Rigoletto am Deutschen Nationaltheater Weimar

von Alexander Hauer
Staatstheater Weimar
 
Rigoletto
 
Melodramma in drei Akten.
Libretto von Francesco Maria Piave nach dem
Schauspiel Le roi s’amuse von Victor Hugo 
 
Gregor Bühl*, Martin Hoff (Musikalische Leitung) - Karsten Wiegand (Regie) - Mark Schachtsiek (Dramaturgie) - Alfred Mayerhofer* (Kostüme) - Bärbl Hohmann* (Bühne) - Anke Neugebauer (Fotos)

Man könnte diese Kritik ganz kurz halten: Wer sie nicht gesehen hat, hat was versäumt! Hingehen! Ich befehle es! Zugegeben, das wäre etwas wenig, also ins Detail.
 
Abhängigkeiten

Mit George Gagnidze hat Weimar den Rigoletto, an dem sich alle anderen messen lassen müssen. Sein überragender Bariton schwankt zwischen Haß und Liebe, zwischen tiefsten Zynismus und

Foto © Anke Neugebauer
herzergreifender Hilflosigkeit. Mit seiner Stimme unterstützt er die Rolleninterpretation eines an Leib und Seele Geschundenen. Ohne Arme, in einen weißen Schlauch gekleidet, ist er gänzlich abhängig von seiner Tochter Gilda (Kerstin Avemo). Um am Hof des Herzogs (für Pieter Roux eingesprungen und erschreckend gut in Stimme und Spiel: Pedro Velásquez Díaz) zu bestehen träg er sie, als Teil seines Kostüms als Rucksack/Buckel mit sich. Und damit liegt auch die Crux des Rigoletto offen. Er, der namenlos existieren will, schafft es nicht, seine Tochter vom Hofstaat voller Freaks fern zu halten. Er benötigt die Handreichungen seiner Tochter. Jeder Versuch Gildas, sich vom Vater zu lösen, wird von ihm vereitelt. Dennoch scheitert er in seinen Bemühungen, die Tochter auf sich zu fixieren. Gilda selbst schwankt zwischen der Liebe zum Herzog und der Treue zum Vater. Die Entführung durch die Höflinge ist der letzte Schritt in ihre Emanzipation, der letztendlich zu ihrem freiwilligen Tod führt.
 
Gültiges Sittenbild

Carsten Wiegand gestaltet seinen Rigoletto als immer gültiges Sittenbild. Er verzichtet auf Schwarz-Weiß-Malerei, seine Personen sind weder gut noch böse, er zeichnet sie als Menschen in all ihrer Fehlerhaftigkeit. Damit entspricht er genau der musikalischen Intension Verdis, der einerseits den

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widerlichen Zyniker Rigoletto als liebenden Vater zeigt, andererseits den sexbesessenen Herzog als zärtlichen Liebhaber zeichnet.
Das erste Bild, ein Kostümfest in Renaissancedekor oder eher eine Fetischparty führt uns in die Abgründe am Hofe zu Mantua. Treffpunkt Herrenklo. Eine Höflingsgesellschaft, jederzeit bereit ihrem Herrn auch sexuell zur Verfügung zu stehen, biedert sich nach allen Seiten offen dem Herzog an. Einziger weiblicher Gegenpol ist die Gräfin Ceprano. Warum der Conte sie mit zur Gayparty geschleppt hat, beleibt offen. Der Spott Rigolettos, eine Made im Speck des Hofes, ist gerechtfertigt. Auch Monterone (grandios Renatus Mészár) versuchte einst auf solch einem Fest seine Tochter an den Herzog zu bringen, um seine Stellung zu festigen und scheiterte ebenso.
 
Milieustudie

Zu Hause bei Rigoletto. Wiegand verzichtet auf die Figur der Giovanna. Ihr Text dient aber als Dialog mit der Gottesmutter Maria. Dieser Kunstgriff ist stimmig und durchaus legitim. Gilda trifft die

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Entscheidung, eine Affäre mit dem vermeintlichen Studenten zu beginnen selbst und wird nicht von außen gesteuert. Die Höflinge haben Gilda dem Herzog zugeführt. Die Verspottung Rigolettos gestaltet sich zu einem der Höhepunkte der Inszenierung. Das Duett der sehr deutlich geschändeten Gilda und Rigolettos gehört zu den besten Interpretationen, die ich bis dato gehört und gesehen habe.
Der dritte Akt spielt in dem Underdogmilieu Sparafuciles (Remiusz Lukomski), einer primitiven Bude. Maddalena (auch stimmlich ein Traum, Roswita C. Müller), eine heroinsüchtige Gelegenheitsnutte, verliebt sich in den als Matrosen verkleideten Herzog. Das Schicksal nimmt seinen Lauf. Sparafucile tötet Gilda, Rigoletto steht vor den Trümmern seines Seins.
 
Erfüllte Erwartungen

Carsten Wiegand bewies in den zum Teil verstörenden, aber immer glaubwürdigen Bildern, Bühne von Bärbl Hohmann, Kostüme von Alfred Mayerhofer, daß moderne Regie auch spannendes mitreißendes Theater sein kann. Gregor Bühl treibt seine Sänger und sein Orchester zu Höchstleistungen an. Sämtliche Erwartungen werden, bis in die kleinsten Rollen, erfüllt. Durchaus erwähnenswert auch die Banda im ersten Akt unter Andreas Klippert.
Wie schon zu Beginn gesagt: Hingehen!

Weitere Informationen unter: www.nationaltheater-weimar.de

Redaktion: Frank Becker