Zuckerfrei und kantig

Ralf Budde inszeniert "My Fair Lady"

von Frank Becker
tic-Theater Wuppertal
My Fair Lady
 
Zuckerfrei und kantig
 


Regie
: Ralf Budde – Musikalische Leitung: Stefan Hüfner – Choreogrphie: Dana Großmann – Bühne und Kostüme: Kerstin Faber – Maske: Heike Kehrwisch
Besetzung: André Klem (Henry Higgins) – Isabelle Rotter (Eliza Doolittle) – Hans-Willi Lukas (Oberst Pickering) – Tobias Unverzagt (Alfred P. Doolittle) – Kristof Stößel (Freddy Eynsford-Hill) u.a.m.
 
Wie macht man das: ein Erfolgsmusical, das auf großen Bühnen rund um die Erde mit viel Personal seit 54 Jahren rauschende Erfolge feiert, auf die Bretter eines vergleichsweise kleinen Studio-Theaters zu bringen? Ganz einfach: man bespielt auch den Saal und läßt das Publikum hautnah dabei sein. So geschehen in Ralf Buddes aktueller Inszenierung von Loewe/Lerners "My Fair Lady" im „Atelier“ des Wuppertaler tic-Theaters am vergangenen Wochenende. 

André Klem, Isabelle Rotter - Foto © Martin Mazur
 
Mit Sampler, Pfiff und Slang
 
Die Ouvertüre gibt ein gediegenes Orchester aus der Konserve. Jedenfalls hört sich das so an. Der musikalische Leiter Stefan Hüfner klärt schmunzelnd auf: alles von ihm Instrument für Instrument per Sampler eingespielt, abgemischt und zusammengestellt – und auch selbst arrangiert. Hut ab! Die unsterblichen Nummern vom mit Pfiff gebotenen „Wäre det nich wundascheen“ bis zum „Ich bin gewöhnt an ihr Gesicht“ klingen lupenrein aus dem Off zu den selbstverständlich von den Darstellern live gesungenen Songs.

Vor der Oper am Londoner Covent Garden entdeckt der Sprachforscher Henry Higgins (André Klem) das ruppige Blumenmädchen Eliza Doolittle (Isabelle Rotter) und ihren schauderhaften Slang. Dort trifft er im Getriebe auch auf den Indien-erfahrenen Oberst Pickering (Hans-Willi Lukas) mit dem ihn die Faszination für Dialekte und Idiome verbindet. Die leichtsinnige Wette, aus Eliza eine Dame machen zu können, spült ihm anderentags das zum Lernen entschlossene Kind aus dem Volke ins Haus. Wimpole Street 27 A – hier wird sich beider Schicksal erfüllen.
 
Herrlicher Theaterspaß
 
Im wirkungsvollen Bühnenbild von Kerstin Faber (die auch für die Kostüme zeichnet) - besonders gelungen das Studierzimmer von Henry Higgins - beginnt ein schweres Stück Arbeit für alle: die störrische Eliza quält sich mit der Sprache („Et jrient so jrien...“), der zynische Higgins („Laß nie ein Weib an dich heran“) mit Eliza und der moderate Pickering mit Higgins. Klem gibt uns dabei einen wirklich grenzenlos arroganten Kotzbrocken, der sich an der kaum weniger selbstbewußten Eliza die Zähne ausbeißt – und sie wörtlich an einer Sprachübung nach Demosthenes. Als es dann nach endlosen Stunden geschafft ist und das zum Gassenhauer gewordene „Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühn“ aus Elizas Mund zu hören ist, legen Rotter, Klem und Lukas eine herrlich übermütige Nummer hin – ein großer Spaß! Isabelle Rotter überrascht dabei als sehr ordentliche Charakterdarstellerin und Soubrette. Ihr Solo „Ich hätt´ getanzt heut Nacht“ berührt.

Isabelle Rotter - Foto © Martin Mazur
 
Warts nur ab, Henry Higgins
 
Eliza wird vorgeführt: Beim Rennen in Ascot und beim Diplomatenball. In Ascot tritt Freddy Eynsford-Hill (Kristof Stößel) in die Handlung ein, eigentlich ein unbedeutender Charakter, der sich in Eliza verliebt und im Stück vor allem durch sein „In der Straße lebst du“ reüssiert. Bei der Premiere hob Stößel diesen Niemand aber aus dem Nichts und machte ihn äußerst liebenswert zu einem Sympathieträger. Zwar verfügt er nicht über große sängerische Gaben, doch überzeugt er mit Vortrag, Haltung und Interpretation – ein Höhepunkt der Aufführung. Die bisher nicht erwähnte Choreographie, die elegant einen Faden durch die Inszenierung spinnt, setzt beim Ball im Walzer und durch die burlesken Nummern „Bringt mich pünktlich zum Altar“ von Elizas derbem Vater Alfred P. Doolittle (Tobias Unverzagt) Akzente. Eine andere Paradenummer zeigt Klem/Higgins mit „Kann eine Frau nicht so sein wie ein Mann?“. Er ist herrlich, auch in seiner schließlichen Kleinmütigkeit „Ohne dich“.
 
Zuckerfrei und kantig
 
Ralf Budde ist es gelungen, Kitsch und Parodie, Schmalz und Tralala zu vermeiden, dafür aber eine durchaus dramatische Liebeskomödie mit ernsten Tönen auf die Beine zu stellen. Die schwierige Szene nach dem Ball, die die verprellte und mißachtete Eliza („Früher habe ich Blumen verkauft, jetzt kann ich nur noch mich verkaufen“) zum Verlassen Higgins´ veranlaßt, die Erkenntnis der gegenseitigen Zuneigung und das schließliche Zusammenfinden sind zuckerfrei und durchaus kantig gelöst: „Eliza, wo zum Teufel sind meine Pantoffeln!“
Die nächste Aufführung im tic-Theater gibt es (mit alternierender Besetzung) am 7. Mai.
 
Weitere Informationen unter: www.tic-theater.de