Strukturen der Macht

Theater Dessau - "Die Stumme von Portici"

von Alexander Hauer

Theater Dessau
Die Stumme von Portici
 

André Bücker
s Einstand als Opernregisseur an seinem Hause muß man als großen Wurf bezeichnen. Die Grand opéra Daniel Aubers wird zwar in gekürzter Form, ohne Ballett, gegeben, zeichnet sich aber durch eine kluge Neudeutung auf höchstem musikalischen Niveau aus.
 
Bücker verlegt die Handlung aus dem frühen 17. Jahrhundert Neapels und Porticis in die Jetztzeit, aus

Foto © Fuhr
den spanischen Besatzern werden Mafia-Angehörige, aus den revoltierenden Fischern Werftarbeiter. Den Verlust pittoresker Bilder machen aber das Bühnenbild
Jan Steigerts und die stimmigen Kostüme von Suse Tobisch wieder wett. Jene Oper um Macht und Ohnmacht, um die Kraft der Schwächeren, wenn sie sich zusammenschließen hatte seit seiner Uraufführung 1828 sensationellen Erfolg weltweit, und führte nach einer Brüsseler Aufführung 1830 zu einer Revolution, in deren Folgen Belgien sich von den Niederlanden löste. Der revolutionäre Gedanke ging in der heutigen Zeit verloren, Bücker schafft aber einen Einblick in die Machtstrukturen, das System Camorra, das unter anderem auf der stillschweigenden Duldung durch die Bürger und deren Angst basiert. Schon in der Ouvertüre zeigt Bücker die Unbarmherzigkeit dieses Systems auf, wenn die Mafiaschergen um Selva ein Kind entführen, um Fenella in ihre Fänge zu bekommen. Fenella, diese Einmaligkeit in der Operngeschichte, die als Titelfigur nicht singt, wird von Gabriella Gilardi mit größter Expressivität getanzt. Ihr Ausdruck und ihre beseelte Körpersprache korrespondiert auf höchstem Niveau mit dem ihrer Sängerkollegen.
 
Antony Hermus zaubert mit der Anhaltischen Philharmonie feinsten französischen Klang aus dem Graben. Das Ensemble um die beiden hervorragenden Tenöre Diego Torre als Fanellas Bruder Masaniello und Eric Laporte als sein Gegenspieler Alphonse schafft es, den hohen Ansprüchen im gleichen Maß zu genügen. Alphonses Braut Elvira, jenes naive, weltfremde Mädchen, das die Beziehungen zwischen ihrem Bräutigam und Fanella nicht erkennt oder wissentlich verdrängt, wird

Foto © Heysel
von Angelina Ruzzafante mit scheinbar mühelos interpretiert. Angus Wood gestaltet seine kleine Rolle als Lorenzo spannend und konzentriert. Der Star unter den Bösen ist aber Ulf Paulsen, der aus Selva einen furchterregenden, mit eiskaltem Bariton ausgestatteten Mafioso macht.
 
Auf der Seite der „Guten“ kämpfen Kostadin Arguirov, Stephan Biener und Wiard Witholt mit Masaniello gegen das System. Das geschlossen gute Ensemble singt auf nicht alltäglichem, hohen Niveau. Neben den erstklassigen Solisten sei aber auch der von Helmut Sonne perfekt einstudierte Chor der Anhaltischen Oper erwähnt. Verstärkt durch Gäste des Coruso Chores Berlin unterstreicht er den mehr als perfekten Gesamteindruck des Abends. Frenetischer Premieren-Applaus, sowohl für das Regieteam als auch für die musikalischen und tänzerischen Leistungen. Auf die DVD-Veröffentlichung kann man sich freuen.
 

Redaktion: Frank Becker