Musikstunde

Eine Plauderei über Brahms´ Violinkonzert D-Dur (1)

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker

Konrad Beikircher
Musikstunde

Über Johannes Brahms und sein
Violinkonzert D-Dur (1)


Sie sind natürlich gierig nach gehobener Unterhaltung, wie wir sie Ihnen hier in den Musenblättern bieten und nur wir, natürlich, und genau das sollen Sie heute auch wieder bekommen. Heute allerdings noch gehobener als sonst, ich möchte Ihnen nämlich rund um ein Werk was erzählen, das Sie alle kennen und das Sie sicherlich auch mögen: es geht um das Konzert ür Violine und Orchester  - nein, nicht das von Bach in a-moll: „Konzert, von Bach, für Solo-Violine und Orchester“ wie wir immer gesungen haben – nein, es geht um das Konzert für Violine und Orchester in D-Dur von Johannes Brahms
Also Violinkonzert von Brahms, das erste. Und weil ihn die Kritik daran von einigen so genannten Kennern geärgert hat, soll er die Pläne zu einem zweiten Violinkonzert in den Reißwolf geworfen haben. Nun ist es so: Bei den eher schlechten Erfahrungen, die der junge Johannes Brahms mit Geigern gemacht hat, bzw. mit einem Geiger, wundert man sich, dass er überhaupt Lust hatte, ein so hinreißendes Violinkonzert zu komponieren. Und da wollen wir uns mal angucken, wie das mit den schlechten Erfahrungen war: Der blonde Hannes, wie ihn seine Mutter zeitlebens nannte, der Schüchterne, „mit der auffallend hohen, hellen und heiseren Stimme“, wie Walter Hübbe über den 18-jährigen Brahms schreibt, rüstet sich langsam zum Schritt in die Welt. Hatte er schon während der Ausbildungszeit ab und zu Konzerte gegeben, am 21. September 1848 das erste eigene und am 14. April 1849 eines, in dem er u.a. Beethovens Sonate op. 53 und eine eigene „Phantasie über einen beliebten Walzer“ (heute verschollen), so kam es mit dem Jahr 1853 zum entscheidenden Wendepunkt in seinem Leben. Er machte seine erste Konzerttournee. Er machte sie nicht allein, er machte sie mit einem Geiger aus Ungarn, Eduard Hoffmann, der sich – vermutlich der besseren Wirkung wegen – Reményi nannte. Man spielte in Winsen, Celle, Lüneburg und Hildesheim und es muß ein flottes Duo gewesen sein. Der feurige Virtuose, der einmal vor dem Konzert zu Brahms sagte: „Werde ich haite Kraitzer-Sonate spielen, daß sich Haare fliegen!“, war ein derartiger Gegensatz zum stillen Blondschopf, daß es den beiden schon Spaß gemacht haben muß, miteinander unterwegs zu sein. Zumal Reményi schon ziemlich bekannt war und einen Satz von Franz Liszt aufweisen konnte: er sei der einzige unter den lebenden Geigern, der „die echte Überlieferung, die wahre Form, das eigentliche Geheimnis der Zigeunermusik“ besitze. No, wenn sich Liszt, wos kain ächter Magyare war, dos schraibt, muuß stimmän!
 
In Hannover lernte Brahms – und das wird von allen Biographen als das größte Verdienst Reményis gewürdigt – den Geiger Joseph Joachim kennen. Es blieb – mit einigem Auf und Ab – eine Freundschaft fürs Leben. Man trifft sich in Göttingen und Joachim meldet Brahms und Reményi in Weimar bei Franz Liszt an. Es trafen da aber zwei Welten aufeinander, die nicht wirklich kompatibel waren. Liszt, in Weimar in seinem eigenen Museum lebend, und Brahms, jedem Prunk und jeder Selbstinszenierung wirklich abhold – das konnte nicht gut gehen. Ob Brahms nun wirklich bei Liszts Klavierspiel eingeschlafen ist oder nicht, spielt eine untergeordnete Rolle. Brahms selbst schreibt: „Ich sah bald ein, daß ich nicht dorthin paßte. Ich hätte lügen müssen, und das konnte ich nicht“ (Max Kalbeck: „Johannes Brahms“, Nachdruck Tutzing 1976, Bd. I S. 90). Liszt guckte sich zwar einige Kompositionen des jungen Besuchers an, versprach ein Empfehlungsschreiben an den Musikverlag Härtel, aber das war’s dann auch wohl. Trotzdem – auch wenn der spätere Musikstreit die beiden zu scheinbaren Feinden hochstilisierte – sie behielten immer Hochachtung füreinander.
Das alles muß der junge Brahms recht undiplomatisch zu erkennen gegeben haben, dergestalt, daß Reményi außer sich über die Grobheit dieses jungen Flegels Liszt gegenüber sich mit ihm zerstritt und alleine weiterreiste. Später wird er nochmal eine kleine Rolle im Leben Brahms‘ spielen mit der Behauptung, dieser haben in seinem Erfolgswerk „Ungarische Tänze“ reihenweise ihn, Reményi, beklaut. Brahms hat darauf, wie so oft, nicht reagiert und das war richtig so.
 
Josef Joachim nun, der Brahms bei Schumann das Entree verschaffte, was zu den bekannten Folgen führte – nein, ich meine nicht das Fisternöll, wie man im Rheinland sagt, mit Clara Schumann, ich meine den begeisterten Satz, den Robert Schumann über den jungen Brahms geschrieben hat und bitte vergessen Sie nicht: diesen Satz hat Schumann als Musikkritiker geschrieben und der Musikkritiker war europaweit bekannt und höchst geachtet, er war die Nr. 1 der damaligen Avantgarde, der Satz lautet: „Das ist der, der kommen mußte!“.
Und weiter: „Ich dachte...es würde und müsse...einmal plötzlich einer erscheinen, der den höchsten Ausdruck der Zeit in idealer Weise auszusprechen berufen wäre, einer, der uns die Meisterschaft nicht in stufenweiser Entfaltung brächte, sondern, wie Minerva, gleich vollkommen gepanzert aus dem Haupt des Kronion entspränge. Und er ist gekommen, ein junges Blut, an dessen Wiege Grazien und Helden Wache hielten. Er heißt Johannes Brahms...“ ist da zu lesen und das war nicht nur momentane Begeisterung, es war – wie wir heute wissen – der klare Blick Schumanns für die Bedeutung des jungen Komponisten.
Daß aber einer der größten Komponisten des letzten Jahrhunderts seinen Bekanntheitsgrad fast zeitlebens seinen Kritiken verdankte, ist schon kurios. Stellen Sie sich doch mal vor, in ein paar Jahrzehnten käme raus, daß Theodor Adornos wahre Größe in seinen Streichquartetten liegt. Obwohl: eins davon hab ich gehört, also ich weiß et nicht!
 
Der aufsehenerregende Artikel machte zwar Brahms selbst ein bißchen Angst (er schreibt an Schumann: „Das öffentliche Lob, das Sie mir spendeten, wird die Erwartung des Publikums auf meine Leistungen so außerordentlich gespannt haben, daß ich nicht weiß, wie ich denselben einigermaßen gerecht werden kann. Vor allen Dingen veranlaßt es mich zur größten Vorsicht bei der Wahl der herauszugebenden Sachen“), machte aber auch Eindruck – zum Beispiel beim Papa in Hamburg. Und da gibt es eine niedliche Geschichte zu erzählen vom Stolz eines Papas auf seinen berühmt zu werden drohenden Sohn:
Papa Brahms kam aus Heide im Dithmarschen, schulterte aber nach erfolgreich absolvierter Lehre als Instrumental-Musicus den „Kunterbaß“, um mit seinem Freund Becker gen Hamburg zu ziehen, denn „etwas Besseres als den Tod finden wir überall“, wie die Brüder Grimm schon erkannten.
Papa spielte zunächst in der Bürgerwehr Horn und Baß, muß das allerdings so gut gemacht haben, daß er schon 1830 die Hamburger Bürgerrechte verliehen bekam und heiraten konnte. Er wurde zur Stütze so mancher Promenadenkonzerte im Konzertpavillon an der Alster und überließ der Nachwelt einen Satz, der allen Kontrabassisten aus der Seele spricht: „Herr Kapellmeister, en reinen Ton up den Kunterbaß is en puren Taufall!“. Schön gesagt und wahr obendrein!

C. Becker, Sohn des Musikers, mit dem Papa Brahms aus dem Dithmarschen nach Hamburg gezogen war, erinnert sich im „Hamburger Fremdenblatt“ (leider steht bei dieser Quelle keine Jahreszahl) so: „Der Vater Becker trug dem jungen Johannes keine großen Sympathien entgegen, er hielt nicht viel von dem Können des stillen, fast menschenscheuen blonden Knaben. Als Brahms im Jahre 1853 auf seiner Reise Robert Schumann aufsuchte, und dieser mit Seherblick die große Begabung des jungen Musikers erkannte und völlig entflammt sich seiner annahm, stürzte Vater Brahms ganz erregt zu seinem alten Freunde Becker ins Zimmer, packte ihn beim Kragen und rief:
‚Du, Fritz, wat segst Du nu? Schumann hett seggt, min Hannes is ‚nen groten, bedüdenden Künstler, he ward noch mal ‚en tweeten Beethoven!‘
Worauf der alte Becker, dem Beethoven als Heiligstes und Höchstes in der Kunst galt, entrüstet ausrief: ‚Wat? Dien ollen dämlichen blonden Bengel sall‚ en Beethoven warden? Du büst woll nich klook? Ut Dienen Hannes ward sin Lewdag keenen groten Minschen! Wo kannst Du so’n Unsinn glöben?‘
Und er ließ sich durch alle Gegenbeweise und Briefe des jungen Johannes nicht von seiner Meinung abbringen, bis dann endlich Vater Brahms das Zimmer verließ mit dem nachdrücklichen Ausspruche:
‚Schumann hett’t äwer seggt!‘ –
 
Wie Recht Schumann hatte, weiß ja jetzt die ganze Welt. Becker aber hat noch jahrelang nicht darüber wegfinden können, daß jemand die unerhörte Frechheit habe, sich mit seinem Abgott, Beethoven, vergleichen zu lassen. Erst nachdem Johannes, von seinen Reisen in seine Vaterstadt zurückgekehrt, ihm einige seiner selbstkomponierten Militärmärsche reizend für Klavier setzte, stieg der junge Künstler in seiner Achtung, und er bequemte sich sogar zu dem Ausspruche: ‚Süh, he is doch en ganzen Kirl!‘“.
Da wird sich Brahms aber tüchtig gefreut haben!

So, jetzt laß´ ich Sie aber erst mal Ihren Morgenkaffee trinken. Nächsten Dienstag erfahren Sie in unserer Musikstunde, wie das nun mit dem besagten Violinkonzert weitergeht.

Ihr
Konrad Beikircher



© Konrad Beikircher - Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2010
Redaktion: Frank Becker