Griechisch und ernst – und doch keine Tragödie

Wuppertaler Bühnen: Eleni. Eine Zuwanderungsgeschichte von Kai Schubert

vom Martin Hagemeyer

Foto © Frank Becker
Griechisch und ernst – und doch keine Tragödie
 
Eleni. Eine Zuwanderungsgeschichte
von Kai Schubert
in einer Inszenierung der Wuppertaler Bühnen


Inszenierung: Jenke Nordalm – Bühne/Kostüme: Birgit Stoessel – Fotos: Uwe Stratmann
Besetzung: Eleni 1: Chris Nonnast – Eleni 2: Ingeborg Wolff – Dimitris: Hans Richter – Nitsa: Julia Wolff – Kostas, Stavros: Marco Wohlwend – Tilly: Maresa Lühle – Ernst: Holger Kraft
 
Uraufführung am 30.4.2010
 

Das Mädchen von Piräus
 
„Ach, das gibt’s auch auf deutsch?“ Diese Frage stellt der junge Grieche Stavros im Schatten der Akropolis seiner Verlobten, nach der das Stück von Kai Schubert „Eleni“ benannt ist. Dem Zuschauer geht es umgekehrt, hat Eleni doch gerade den Schlager „Ein Schiff wird kommen“ angestimmt, dessen griechischer Ursprung hierzulande nicht mehr allzu geläufig sein dürfte. Schon hier wird man in die ungewohnte griechische Perspektive versetzt. Hinzu kommt, daß mit dieser kurzen Szene um das träumende

Chris Nonnast - Foto © Uwe Stratmann
„Mädchen von Piräus“ schon zu Beginn ein Motiv des Abends ebenso artikuliert ist wie sein Tonfall: die Sehnsucht – aber nicht zu gewichtig.
Eleni ist die zentrale Gestalt des Auftragswerkes, für das Autor Schubert mit Wuppertaler Griechen Gespräche geführt und vor Ort recherchiert hat. Sie verläßt in den frühen sechziger Jahren ihre Heimat, um ihrer schwangeren Cousine Nitsa beizustehen – diese ist mit ihrem Mann Dimitris nach Deutschland gezogen, wo er auf dem Bau arbeitet. Anders als geplant bleibt Eleni für Jahrzehnte. Ihr Verlobter teilt ihr schriftlich mit, daß er eine andere Frau hat. Beim Anwerbestopp von 1973, der die Förderung der Arbeitsmigration in die Bundesrepublik beendete, entscheidet sich die Familie für Deutschland und eröffnet ein Restaurant. Schließlich alt geworden, blickt Eleni auf ihr Leben als Einwanderin zurück und fragt sich auch, wo sie einmal sterben wird.
 
Sehnsüchte
 
Dies ist kurz gefaßt die Geschichte, die exemplarisch ein griechisches Einwanderungsschicksal im Fortgang der Zeit vorstellt. Ernst ist die Inszenierung von Jenke Nordalm geworden, aber nicht depressiv. Warf die wohl populärste Verarbeitung der Thematik, der Schlager „Griechischer Wein“ von Udo Jürgens, trotz ihrer Eignung zum Schunkeln eigentlich ein düsteres Licht auf die Befindlichkeit der Gastarbeiter, so wirkt „Eleni“ ausgeglichen, auch wenn die Protagonisten prägnante Formulierungen für ihre Sehnsucht finden: „Es ist, als ob ich Hunger hätte und ich weiß nicht worauf.“ Am Ende gibt es einen Streit mit den deutschen Freunden (Maresa Lühle, Holger Kraft) voller Standardvorwürfe auf beiden Seiten (eingeschlossen die aktuelle Wirtschaftskrise); dennoch wird „Eleni“ nicht zur Tragödie.
 
Brillant besetzt
 
Das liegt auch an Chris Nonnast, die der Titelfigur eine positive Grundhaltung verleiht, wenn sie fröhlich mit den Kindern spielt oder aus dem Kaffeesatz liest. Eleni ist doppelt besetzt: Mit Ingeborg Wolff als älterer Frau nimmt ihre Nachdenklichkeit zu, doch niederdrücken läßt sie sich auch jetzt nicht

Marco Wohlwend, Ingeborg Wolff - Foto © Uwe Stratmann
– selbst als am Ende ihr Großcousin Opfer eines fremdenfeindlichen Angriffs wird. Anders ist es bei Cousine Nitsa (Julia Wolff): Sie ist unzufrieden mit ihrer Situation, was sich in Aggressivität gegenüber Kindern und Eleni äußert; schließlich wird sie geisteskrank. Ihren Mann gibt Hans Richter, der vielleicht gerade wegen seines (verglichen mit der Rolle) höheren Alters Stolz und Verletzlichkeit so überzeugend verkörpert. Mit Blick aufs Lebensalter auffällig ist gleichfalls die Besetzung auch des gealterten Stavros mit dem jungen Schauspieler Marco Wohlwend: Nach vierzig Jahren besucht er Deutschland, wenn auch gar nicht primär wegen Eleni, und steht ihr etwas ratlos gegenüber – angesichts des ungleichen Paars (Wohlwend sieht eben nicht aus wie ein Sechzigjähriger) übermittelt sich dem Zuschauer ergreifend dessen ernüchterter Eindruck von seiner einstigen Verlobten: Sie sind sich fremd geworden, und das liegt nicht nur an der Zeit, sondern auch am Ort.
 
Auch das Bühnenkonzept geht auf
 
Eine gesonderte Erwähnung verdient das Bühnenbild von Birgit Stoessel. Agiert wird in einem angedeuteten Gebäude, das komplett aus leeren Bierkästen zusammengesetzt ist. Die mit diesem „Baumaterial“ einhergehenden Assoziationen – billig, austauschbar – passen zu Stückbeginn nicht recht, wo die Kastenstapel (entsprechend dem Schauplatz vor der Auswanderung) die doch nach etwas Erhabenheit verlangende Akropolis darstellen sollen. Doch sobald die Handlung in Deutschland spielt (und das geschieht nach wenigen Minuten), geht das Konzept auf: Nun können die einzelnen Elemente von den Darstellern nicht nur sehr charmant variabel genutzt werden – vom Sitzen bis zum Spannen von Wäscheleinen; vielmehr drückt sich im ständigen Umbau mit diesen eckigen Gebrauchsgegenständen etwas Wesentliches aus: die Vorläufigkeit des geplanten Aufenthalts, der Glaube, man brauche sich ja gar nicht langfristig einzurichten in der Fremde. Diese Ansicht – die optische wie die übertragene – bleibt den Einwanderern bis zuletzt.
 
Aus dem Leben
 
Daß die Handlung von „Eleni“ als Ergebnis von Recherchen vermutlich aus zahlreichen realen Schicksalen gespeist ist, kann man nur erahnen; man nimmt sie als fiktive Einzelgeschichte wahr. Doch der Schluß der sehenswerten Inszenierung löst das Versprechen ein, konkret an das Leben griechischer Einwanderer in Wuppertal anzuknüpfen: Auf einer Leinwand sind hiesige Griechen in ihrem jeweiligen Umfeld zu sehen, und sie sind wie Eleni: immer noch etwas fremd, doch zuweilen mit einem Lächeln.


v.l.: Julia Wolff, Maresa Lühle, Holger Kraft, Ingeborg Wolff, Marco Wohlwend, Hans Richter - Foto © Uwe Stratmann
 
Weitere Informationen unter: www.wuppertaler-buehnen.de