Opern-Weltklasse in Wuppertal

„Eine florentinische Tragödie“ & „Gianni Schicchi“

von Peter Bilsing

Foto © Frank Becker
Zweimal „Tod in Florenz“


Weltklasseniveau in Wuppertal:
„Eine florentinische Tragödie“
& „Gianni Schicchi“
 
Musikalische Leitung: Hilary Griffiths - Inszenierung: Johannes Weigand - Bühne: Moritz Nitsche - Kostüme: Judith Fischer - Dramaturgie: Johannes Blum Regieassistenz: Bälazs Värna - Inspizienz: Arndt Mädler - Fotos: Uwe Stratmann
Besetzung Eine florentinische Tagödie: Guido Bardi: Paul McNamara Simone: Kay Stieferman Bianca: Joslyn Rechter 
Besetzung Gianni Schicchi: Gianni Schichi: Jacek Strauch Lauretta: Banu Böke Zita: Diane Pilcher Rinuccio: Kalle Kanttila - Gherardo: Christian Sturm - Nella: Dorothea Brandt  - Gherardino: Malik Karaca - Betto von Signa: Dariuz Machej - Simon: Thomas Schobert - Marco: Olaf Haye  Ciesca: Joslyn Rechter - Magister Spinellocc: Mario del Rio - Amantio de Nicola: Javier Zapata Vera - Pinellino: Andreas Heichlinger - Guccio: Jochen Bauer - Chor der Wuppertaler Bühnen
 
 
Premiere 20. Juni 2010
 
„Was sucht der Tod in solch heitrem Haus, da nur ein Weib, ein Gatte und ein Freund ihm Gruß entbieten können  …Ich kann ertragen Verachtung, Schande von mancher Art, den schrillen Hohn und offenen Schimpf. Doch wer mir irgend etwas stiehlt, das mir gehört, und wär´s auch nur der schlechteste Teller, davon ich meinen Hunger füttre, setzt Seel und Leib auf Spiel bei seinem Frevel und stirbt!“
 
 
„Ist die ganze mächtige Welt in dieses Zimmers Umfang eingeengt, und hat drei Seelen als Bewohner nur? So sei der dürftige Raum jetzt eine Weltenbühne, wo Herrscher fall´n und unser tatlos Leben der Einsatz wird, um den Gott spielt.“ - singt der brave Tuchhändler Simone, bevor er sich zum Mord am dreisten Geliebten seiner Gattin entschließt, welcher noch im Tode seine Herkunft bemüht „Nimm mir vom Hals die Würgefinger; ich bin meines edlen Vaters einziger Sohn“„Schweig! Dein Vater wird, wenn kinderlos, beglückter sein!“


v.l.: Paul McNamara, Kay Stiefermann - Foto © Uwe Stratmann

Und so stirbt der Liebhaber zu einer ungeheuren, hochdramatischen Musik. „Und jetzt zu Dir!“ Der Tuchhändler greift sein Messer und wendet sich seiner Gattin zu, die eben noch von ihrem Liebhaber seinen Tod im Zweikampf („Töte ihn! Töte ihn!“) lauthals forderte, doch da ertönt eine der schönsten Melodien, die jemals ein Komponist für die Oper geschrieben hat, und sie intoniert gänzlich traumverloren, fast exstatisch „Warum hast Du mir nie gesagt, daß Du so stark?“ Nach einem großen, mehrfach geteilten Streichermeer, welches Wagner nicht schöner in Noten gesetzt haben könnte, erwidert er fasziniert „Warum hast Du mir nicht gesagt, daß Du so schön… bist.“ Riesenfortissimo im aufblühenden Orchester, als wären wir in der Walküre erstem Akt (wo der Lenz erblüht) während sich beide in die Arme sinken und sich über der Leiche des gerichteten Nebenbuhlers vereinen. Das hätte sich selbst Wagner niemals getraut! Und die Oper klingt aus in einer Art Erlösungsmotiv, schön wie das der „Götterdämmerung“.
 
Donnerwetter! Mehr an Dramatik kann eine Oper in einer knappen Stunde nicht bieten. Grandiosere Musik ist nie mehr geschrieben worden. Was Zemlinsky hier für ein kompaktes Musikdrama komponiert hat, ist das Ultimo der Gefühle: Liebe, Gleichgültigkeit, Haß, Haßliebe, Betrug, Mord und Verzeihen. Was für ein Welt-Theater - und alles in ein gerade mal 60-minütiges dramatisches Wechselbad der Gefühle gesetzt, welches den Atem raubt. Mehr Musik geht nicht. Mehr Gefühl ist geradezu unmöglich. Was für hochanspruchsvolle Partien und wie brillant ist die Geschichte doch gesponnen! Dazu ein packender Text von Oscar Wilde (bitte demnächst mit Übertiteln, denn jedes Wort ist auch von großer musikdramatischer Bedeutung)! Eine echte Gefahr für Opernfreunde mit Bluthochdruck; aber Hand aufs Herz: kann man zu schönerer Musik sterben? Ich finde nein.


v.l.: Paul McNamara, Kay Stiefermann, Joslyn Rechter - Foto © Uwe Stratmann
 
Doch zum Anfang: Tuchhändler Simone kommt sehr spät nach Hause; und trifft einen Fremden bei seiner Gattin „Er ist kein Vetter, er ist kein Verwandter.“ Doch der schlaue Kaufmann, den seine Gattin für einen einfältigen Langweiler hält, entwickelt sich langsam aber zielstrebig zum Racheengel, während es dem arroganten Fürstensohn Guido Bardi immer mulmiger wird. Die Wände rücken bedrohlich näher, die Schwingen des drohenden Todes werden sich über ihm schließen. Er gerät in dieselbe Panik, die ein lebendig Begrabener erleiden muß. Hier gibt es kein Entkommen mehr. Und so ist das Scheingefecht, um spielerisch zu testen, wer den besseren Säbel hat, eigentlich nur das Vorspiel. Und was für ein Vorspiel: Zemlinsky/Oscar Wilde setzen hier in wilder Kühnheit Eros gleich Tod. Dabei ist die Musik dermaßen feinsinnig und steigerungsfähig, daß jedes auch nur gehauchte Wort seine Entsprechung findet. Manches ist mehr gesprochen als gesungen:
 
„Was sucht der Tod in so vergnügtem Haus, wo nur ein Weib, ein Gatte und ein Freund ihn grüßen?“ Dazu wunderbar friedvolle kammermusikalisch begleitende Solo-Violine, wie bei einem Kinderschlummerlied, doch auf der selben Tonlage bricht Zemlinsky mit „Oh laß den Tod dort Einkehr halten“ und steigert das Riesenorchester wie bei Wotans Abschied ins schier Unermeßliche „wo man die Ehe bricht, wo keusche Frauen, die ihrer edlen Männer überdrüssig, den Vorhang ihrer Ehebetten lüften und in besudelten, entehrten Kissen der unerlaubten Wollust frönen.“ Uns schaudert. Doch am Ende klingt es wie ein gehauchtes Lebewohl. So stürzt Zemlinsky uns in die unendlichen Welten und Wogen eines musikalischen Rausches, der allerdings, anders als bei Wagner, meist dezent wieder bodenständig retrovertiert.
 
Dem Wuppertaler Regieteam um Johannes Weigand gelingt eine hochwerktreue Inszenierung; ein Juwel ohne Firlefanz. Man entfacht eine Zündschnur, die allein entlang der worttreuen Linie vom Text und der notengenauen Wahrnehmung der Musik beständig weiterglimmt und sich in perfekt düsterer Lichtatmosphäre (Sebastian Arens) glühend durch die Herzen und Seelen der Zuschauer brennt. Atemberaubend, spannend, ergreifend und einen Aufregungs-Kollaps fördernd. Besser kann man Musiktheater nicht inszenieren. Irgendwann werden hoffentlich auch die Wuppertaler Opernfreunde begreifen, was für ein sensationelles Stück hier schlichtweg grandios inszeniert wurde, und es wäre zu wünschen, daß nicht nur die von fern, sogar aus Wien angereisten Kritiker lauthals jubeln.
 
Ich habe praktisch alle deutschen Inszenierungen seit der großen Zemlinsky- Wiederentdeckung dieser Oper vor 30 Jahren gesehen, und muß sagen, daß die Wuppertaler Produktion in allen Bereichen jener maßstabsetzenden Hamburger Inszenierung von 1981 (Albrecht/Dresen – Soffel, Riegel & Sarabia - gibt es auch auf CD) das Wasser reichen kann.


Joslyn Rechter, Paul McNamara - Foto © Uwe Stratmann
 
Was muß Hilary Griffiths geprobt haben, um diesen Klang aus dem Sinfonieorchester Wuppertal herauszuholen. Was muß diese Oper für eine Herzensangelegenheit für den GMD gewesen sein! Besser kann man diesen Zemlinsky nicht spielen. Zuletzt habe ich solche Qualität in Wuppertal beim „Ring des Nibelungen“ vor 30 Jahren gehört. Es war wirklich ein sensationeller Premierenabend. Hinzu kommen drei perfekte Sänger, welche die Einmaligkeit dieses 5-Sterne-Abends hinreißend unter Beweis stellten, und es sind verteufelt schwere Partien, die da gegen ein Wagner-Orchester gesungen werden müssen. Ein „Bravissimo“ für Paul McNamara (Guido Bardi), Kay Stiefermann (Simone) und Joslyn Rechter (Bianca). Für die ungeheure Leistung, auch der enormen Textverständlichkeit, bekommt Kay Stiefermann einen extra Opernfreund-Stern. Für alle Zemlinsky-Freunde ein Muß, geradezu ein Zwang, auch für die weiteste Anreise. Wer noch nie etwas von Zemlinsky gehört hat, wird zum Fan des Komponisten. Versprochen.
 
Man verzeihe mir das knappe „Post Scriptum“, denn „Gianni Schicchi“ wird ja nun überall rauf und runter gespielt. Eine nette Posse. Gut gespielt, prachtvoll gesungen von einem guten Team und mit großartiger Italianita orchestriert. Wahrscheinlich konnte und wollte man dem Publikum „Blaubarts Burg“ (Bartok) als zweites Stück, welches ich gewählt hätte, kaum noch nervlich zumuten. Da habe ich volles Verständnis. Jacek Strauch war ein Schicchi von Weltklasseformat – nebenbei bemerkt. Also nach Wuppertal fahren, bevor das Theater dort von der Politik weggespart wird. Hier wird heuer und jetzt Weltklasse geboten. Da Capo!
 
Plattentip: Mit Entsetzen, aber doch stiller Genugtuung stelle ich fest, daß die jetzt erwähnte Referenz-CD nur noch zum sagenhaften Sammlerpreis von über 60 (!) Euro gehandelt wird. Die beiden anderen erhältlichen Aufnahmen mit Conlon und Chailly sind zwar musikalisch hochaufregend, aber gesanglich (vor allem wegen der mangelhaften Textverständlichkeit) unzureichend; ich bin damit nicht glücklich.
 
Weitere Informationen unter: www.wuppertaler-buehnen.de

Redaktion: Frank Becker