"Prinzessinnendramen"

Ein Lamento von Elfriede Jelinek in Wuppertal

von Frank Becker

Foto © Frank Becker
Ein Lamento
 
Anne-Catherine Studer spielt
Jelineks „Prinzessinnendramen“
 
Vergessen wir gleich einmal den in die Irre führenden Waschzettel dieses Einpersonenstücks, das in einer kompakten Stunde einen Rundumschlag in die Welt Grimm´scher Märchenprinzessinnen (samt Ausflügen zu Andersens Kunstmärchen) führt, und vergessen wir auch geflissentlich die Vergabe des Literaturnobelpreises an dessen Autorin – nicht nur mir bis auf den Tag ein Mysterium.

„Prinzessinnendramen“ hat Elfriede Jelinek ihre Fingerübung in Sachen Frauenschicksal im Märchen betitelt. Es gäbe derer viele in den von den Brüdern Jakob und Wilhelm Grimm vor 200 Jahren überwiegend im Hessischen gesammelten „Kinder- und Hausmährchen“, die Autorin hat zwei der allgemein bekanntesten, „S(ch)neewittchen“ (KHM 53) und „Dornröschen“ (KHM 50), als Basis für ein unterhaltsames Lamento zwischen Witz und Jelinekschem Sprachwust genommen, das sich mit der Stellung der Frau im Allgemeinen, dem Mutter-Tochter-Konflikt im Besonderen und der Unauffindbarkeit passender Prinzen (von Zwergen ganz zu schweigen) auseinandersetzt.

Die Szene läßt keine Frage offen: auf der Bühne eine winzigkleine Showtreppe zu einem Sockel mit gläsernem Sarg voller grüner Äpfel, aus dem sich hustend, prustend ein Schneewittchen herausschält, sich selbst, ohne Prinzenkuß, vom vergifteten Obst befreit und zu einem einstündigen Monolog ansetzt. Wir erfahren, von ihr, daß es ihre Geschichte schon seit Jahrhunderten gebe und: „Zwerge sind mir in all den Jahren nicht begegnet.“ Wobei sie einerseits betont „Für Zwerge würde ich mich gerne hinlegen, damit auch die ihre Ego-Erfahrung machen können“, andererseits jedoch ihre Angst vor sieben Zwergengliedern (alle zugleich!) artikuliert. Dornröschen (fliegender Wechsel), aus 100-jährigem Schlaf wachgeküßt, zeigt sich in bürgerlicher Skepsis: „Heißen Sie nur Prinz oder sind Sie es?“ Ein Lacher. Doch resignierend erkennt das kluge Mädel, daß „...schlafende Prinzessinnen ohnehin nehmen müssen, was sie kriegen.“ Wahr und noch ein Lacher. Für alle Fälle spitzt sie aber erweckunshungrig den Kußmund. Welchen Anforderungen, unerfüllten Hoffnungen und Wünschen und Rückschlägen so ein Prinzeßchen ausgesetzt ist, lassen Streiflichter mit Zitaten aus „Froschkönig“, „Aschenputtel“, „Die Prinzessin auf der Erbse“ (hier auf einem Granny Smith) und „Die kleine Meerjungfrau“ aufblitzen. Jelinek stellt hier Volks- und Kunstmärchen nebeneinander, die in die gleiche Kerbe hauen. Die Protagonistin setzt sich mit allen Widrigkeiten bis hin zum erwarteten Tod („Wenn die Zeit gekommen ist, tut es uns leid, daß wir einen Körper haben.“) amüsant auseinander.


Anne-Catherine Studer - Foto: A. Fischer
 
Überhaupt gelingt es Anne-Catherine Studer, die diesen Abend solo bestreitet, souverän, mit viel Charme, Ironie, eigenem Witz und vollem Körpereinsatz, in die von aller Märchenromantik befreiten Prinzessinnen-Rollen zu schlüpfen. Sie spielt sich, mit weißem Kleidchen und rosa Leggins, auf Lone-Star-Plateau-Stifeln trippelnd, hinkend, kokettierend, philosophierend, schwadronierend, räsonierend, schmollend und brüllend bei hochsommerlichen Temperaturen im Kleinen Haus des Wuppertaler Schauspiels die Seele aus dem schweißüberströmten Leib – und schafft es, allen  Schwächen des Stücks zum Trotz eine volle Stunde lang ihr Publikum zu fesseln, zu erheitern und letztlich zu in lang anhaltendem Applaus gipfelnden Begeisterungsstürmen zu animieren. Ein höchst gelungenes kleines Überraschungsbonbon zum Ende der Wuppertaler Spielzeit.

Ganz zum Schluß hat Jelinek der Rolle einen Satz in den Mund gelegt, den man als Fazit für Anne-Catherine Studers beachtlich Leistung auch am Schlusse stehen lassen kann: „Nur wertvolle Frauen können der Welt etwas schenken!“ So ist es.


Anne-Catherine Studer - Foto: A. Fischer
 
„Prinzessinnendramen“ wird vor der Sommerpause noch einmal am 9. Juli gezeigt und anschließend in die neue Spielzeit übernommen.
Weitere Informationen unter: www.wuppertaler-buehnen.de