Sretan put - glückliche Reise

von Friederike Zelesko
Sretan put - glückliche Reise
 

Die ganze Welt besteht aus Inseln, aus dem Raum, der sie voneinander trennt und miteinander verbindet.
Das Leben der Menschen hat den Sinn, durch die Distanz zu irren, die alle Inseln dieser Welt
miteinander verbindet und voneinander trennt.
 (Joao de Melo)
 
          
            Sie war unterwegs in das Fischerdorf auf der kroatischen Insel Losinj.
Jetzt stand sie auf der Fähre, die sie von einer Insel zur anderen bringen sollte. Die Fähre hatte das Meerwasser zu einem weißen Faden gesponnen, der sich ganz schnell wieder ins Meer zurückdrehte. Nichts war mehr so wie vorher. Dieser Anblick war wie ein Erinnerungsfaden für sie und seine Stimme mit diesem ungarischen Akzent drang zu ihr, die immer die erste Silbe des Wortes betonte und der deutschen Sprache einen ganz anderen Klang gab.
            Sie hatten zusammen auf der Fähre von Oostende nach Dover gestanden, als er das erste Mal seinen Arm um sie legte. Szeretlek. Sein Kosewort, seine Sprache. Sie hatte ihm sofort geglaubt. Er hatte gelacht und dabei seine auseinanderstehenden Vorderzähne gezeigt, zwischen die er später einmal zum Spaß einen englischen Penny gesteckt hatte. He knocked every Penny to his teeth fiel ihr ein, und daß sie sich, als sie später längst verheiratet waren, über seine Sparsamkeit ärgerte.
            Die Sonne schob sich langsam hinter die Linie des Horizonts. Ein Lichtstrahl lag auf dem Meer, das sich silbern färbte. Statt der weißen Klippen von Dover sah sie jetzt den weißen Felsensaum der Insel Cres näher kommen. Darüber stülpte sich eine Haube helles Grün. Mit einem Kettengerassel schob sich eine Plattform an Land. Es roch nach Dieselöl. Die Autos setzten sich in Bewegung, die Passagiere folgten. Sie stieg mit den Anderen die eiserne Treppe hinunter. Die Treppe schepperte bei jedem Schritt.
            Das Scheppern lärmte in ihr noch, als sie bereits mit dem Bus auf einer gut ausgebauten Straße durch die Macchia fuhr, an Trockenmauern vorbei, die in der Dunkelheit leuchteten. Tief unten funkelte die Hafenstadt Cres. Das Funkeln spiegelte sich im Wasser und  verschmolz mit den Lichtern der Marina. Dort hatte sie vor Jahren einmal zwei Wochen Urlaub mit ihm verbracht. Die meiste Zeit lagen sie in der Sonne. Er hatte kein Auge für die Landschaft und es zog ihn immer öfter zum nahen Nacktbadestrand.
            Alleingelassen, hatte sie sich in den Schatten der Pinien gesetzt und ihr erstes Gedicht geschrieben. Das Gedicht handelte von einem Blau, das morgens noch frisch und rein war, sich mittags in ein wildes Blau färbte, das leidenschaftlich in der Sonne flimmerte. Abends wurde es immer weicher und löste sich im Dunkel der Nacht auf. Ein Bild führte zum anderen. Sie saß auf einer Sandzunge. Die Sandzunge lag im Mund der Bucht. Über ihr rundete sich der Himmel wie ein Gaumen. Möwen maßen die Weite und Höhe des Himmels. Schiffe durchkreuzten das Wasser bis zu dem Punkt, wo Wasser und Himmel sich trafen.
            Sie erreichte die alte Stadt Osor mit dem ehemaligen Bischofspalast und der beweglichen Brücke, die zur Seite gedreht wird, um die Schiffe durchzulassen. Die Brücke rührte sich nicht. Das Funktionieren und Stillhalten in  ihrer Ehe hatte sie lange Zeit ertragen. Sie hatte gedacht es müsse alles so sein. Die einzige Brücke, die sie im Gleichschritt zusammen überquert hatten, war das Verlangen. Seine Berührung war wie ein Funke, der sie brennen ließ. Er hatte sehr schöne Hände.
            Im Fischerdorf Nerezine angekommen, freute sie sich, als sie ihr Hotelzimmer betrat und den kleinen alten Schreibsekretär mit den gedrechselten Beinen und Messingplättchen hinter den Griffen der Schubladen sah. Sie legte ihren noch leeren Schreibblock darauf. Später entdeckte sie auf der Platte des Schlosses eine Gravur: British make. Sie wunderte sich warum es make hieß und nicht made. Sie zweifelte an der Herkunft des Möbels.
            Am nächsten Tag regnete es und ihr erster Spaziergang führte sie in die Werft und ins Hinterland mit Blick auf den Osorscica Höhenzug und den Berg Televrin. Das Hotel hieß wie der Berg und war früher das alte Rathaus. Jetzt war es ein Schmuckstück mit mediterranem Anstrich und lag direkt am Hafen. In der Werft lagen Boote auf dem Trockenen, zeigten ihre Wunden, die das Meer geschlagen hatte. Sie hörte Maschinengeräusche und sah wie zwei Männer mit Schleifmaschinen die Rumpfnarben der Boote glattschliffen, den rostigen Schleifstaub einatmeten. Sie machten diese Arbeit ohne Mundschutz und Brille, so wie er damals, als er stundenlang mit dem Schleifpapier am Kotflügel seines Autos gearbeitet hatte und Lackstaub an seinen Wimpern und Kleidern hing. Sie hatte nie verstanden, warum er das Auto nicht in die Werkstatt gebracht hatte, warum er immer alles selbst reparieren mußte.
            Im Hafen von Nerezine lag Boot an Boot. Ihre Namen verrieten viel über die Herkunft oder Wünsche der Bootsbesitzer. Ein Holzboot hat eine Seele, sagte der Manager des Hotels. Später durfte sie mit einem Holzboot auf das Meer fahren, zur Blumeninsel Ilovik. Der Kapitän steuerte kleine verträumte Buchten an. Manche schimmerten türkisblau, smaragdgrün oder nachtblau. Der Bug des Bootes stieg auf und ab im Wellengang. Möwen und Kormorane begleiteten sie. Die Vögel schrien, das Boot ächzte. Der Wind bauschte ihre Jacke, spritzte Salzgischt in ihr Gesicht. Damals, auf der Donau, hatte das Wasser süß geschmeckt und sie hatten das Ruderboot am Ufer festgemacht, die Fische, die sie gefangen hatten, ausgenommen und in große Blätter gewickelt. Sie hatten sich an einer einsamen Stelle geliebt und nicht die Mücken gespürt, die sie gestochen und sich mit ihrem Blut vollgesaugt hatten.
            In einer einsamen Bucht auf der Insel Ilovik häufte sich Strandgut. Auf dem angeschwemmten Seegras fand sie einen rosa Plastikbadeschuh, einen rechten Puppenarm und den Schwimmkörper eines Tintenfisches, klein und weißlich. Sie ritzte mit ihrem Daumennagel eine Kerbe hinein ohne zu wissen warum und nahm diesen Fund mit.
            Das Hinterland von Nerezine war mit hüfthohen Trockenmauern durchzogen. Ein starker Salbeiduft lag in der Luft. Die gelben Blütenblätter des Ginsters setzten ihre Segel. In den Vorgärten der grauen Bauernhäuser mit ihren langen Giebelhölzern blühte Jasmin. Die Fensterläden waren geschlossen. Der Weg führte an der Franziskanerkirche und am Friedhof vorbei, wo ein Grab außerhalb der Friedhofsmauer lag, fern und doch so nah bei den anderen. Die Blätter der Olivenbäume drehten sich im Regen, tankten Licht, zeigten schamlos ihre helle Seite. Schon bei ihrem ersten Rendezvous hatte er ihr seine schamlose Seite gezeigt. In seiner kleinen Wohnung im Londoner Stadtteil West Kensington stand ein schmales Bett, das sie nur verließen wenn sie hungrig waren. Als sie ihn Tage später wieder traf, hatte sie ihr gelbes Kleid getragen. Du siehst aus wie eine Narzisse, hatte er gesagt.  Auch dieses Mal hatte sie an sein  Kosewort geglaubt. Seine ungestüme Natur, schamlos und so schön, hatte sie zum Blühen gebracht. Das achtlos hingeworfene Kleid lag am Boden und verwelkte.
            Am nächsten Tag tobte sich ein Fallwind im Hafen aus. Die Fischer hatten ihre Boote vorsorglich mit starken Seilen festgezurrt. Die Bora ist eine reinliche Frau und gebärdet sich wie eine Irre, aber sie geht so schnell wie sie gekommen ist, riefen die Fischer ihr zu und blieben an Land. Sie verstand nun die Frauen, die seit jeher bei Sturm in der Cikat Bucht standen, auf das Meer blickten und für die Rückkehr ihrer Männer, Väter, Brüder und Söhne beteten. Kehrten sie sicher heim, stifteten sie dankbar ein Votivbild für die Kapelle Maria Annunziata. Es hatte sich langsam angebahnt und in der ersten Nacht, in der er nicht heimkehrte, hatte sie vor dieser fremden Wohnung gestanden und wie irre auf den Klingelknopf gedrückt. Es hatte ihr niemand aufgemacht.  Die Frau ging so schnell wie sie kam. Es folgten andere Frauen. Dann ging sie.
            Bald war das Meer wieder glatt und rein und der Wind wehte von Nordwest. Sie saß auf einem glatten Felsen und schrieb ein Gedicht. Noch hatte die Wolke die Form eines Fisches, warf einen  kleinen Schatten und überließ ihre Verwandlung dem Wind. Von irgendwoher kam diese hellgraue Katze mit den Bernsteinaugen auf sie zu, strich zärtlich um ihre Beine. Es war der letzte Tag auf Losinj. Sie überließ ihre Verwandlung der Zeit.
 
 
© Friederike Zelesko – Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2010
Redaktion: Frank Becker