Teetrinker

von Hanns Dieter Hüsch

© André Poloczek / Archiv Musenblätter
Teetrinker

Ich glaube, ich habe Ihnen das schon mal erzählt, und zwar, ich trinke seit meiner berühmten Gallenkolik, damals im Zug, mitten zwischen Trier und Koblenz, trinke ich nur noch Tee, obwohl ich jahrzehntelang eine Kaffeetante war, Erbteil von meiner Mutter. Noch nachts um 2. Eine Kanne Kaffee, mittelstark, hat mir nix ausgemacht. Aber jetzt habe ich mich zu Tee durchringen müssen. Man muß sich da richtig überwinden, denn ich habe früher gar nicht gern Tee getrunken. Gar nicht gern. Weil hauptsächlich wohl, wenn früher Onkel Fritz Geburtstag hatte und die ganze Familie mit Kind und Kegel zusammenkam, da war ich ja erst acht oder neun Jahre alt, strömten die all zusammen, aus allen niederrheinischen Ecken und Kanten, von den Alpen bis Kaldenhausen, und saßen dann alle an einem ganz langen Tisch und tranken ganz dünnen Tee. Sicher weil das vornehm war, und meine Mutter spreizte immer den kleinen Finger ab, wenn sie die Tasse zum Mund führte. Und der Tee war so dünn, wie gesagt, und schmeckte nach nix. Und Bohnenkaffee gab es damals sowieso nur sonntags, sonst nur Malzkaffee, sogenannter Muckefuck. Aber heute bin ich schon ein richtiger Teetrinker. Nicht, daß ich bei »Wetten, daß« fünfzig Teesorten geschmacklich auseinanderhalten könnte. Nix! Oder ich hätte den Keller voll Früchtetee, oder ich würde nur noch in homöopathischen Teestuben verkehren, nee! Obwohl der Tee die Zuflucht der Introvertierten sein soll, hat - glaube ich - Oscar Wilde gesagt. Ich meine, das könnte für mich ja wieder passen, oder, wie sagt man: Das sieht dem ähnlich! Aber ansonsten trinke ich Tee hauptsächlich wegen meiner Gallengänge. Die übrigens frei sein sollen laut Ultraschall, also ganz ohne Gries, ohne Gallengries. So könnte auch ein Ritter aus König Artus’ Tafelrunde heißen: Gallengries und Gurnemanz, Lohengrin und Gallengries. Aber ich schweife ab. Meine gefährlichste Krankheit. Ich wollte eigentlich nur sagen, daß Kaffeetrinker viel besser dran sind, weil die ohne Teebeutel arbeiten können. Die Geschichte mit dem Teebeutel, die kennen Sie ja. Kein Deutscher weiß in den meisten Fällen wohin damit. Zucker gibt’s manchmal, auch nur ein Stück. Aber das ist nicht das Schlimmste. Neuerdings sind Teetrinker regelrecht benachteiligt, denn in den meisten Frühstücksräumen muß man sich den Tee inzwischen selbst holen. Der Kaffeetrinker aber kann am Tisch sitzenbleiben und wird von vorne bis hinten bedient und verwöhnt. Kaffee, Kaffee, Kaffee. Der Teetrinker dagegen muß aufstehen, sich an das Buffet begeben, den Teebeutel auswählen, sich eine von diesen hundsgemein komplizierten Teekannen aussuchen, die manchmal wie eine erschrockene Ente mit Schlangenschnabel aussehen. Dann muß man sich noch aus dem Ding, aus dem Samurai oder wie das heißt, aus dem Samowar, das darf doch nicht wahr sein, das heiße Wasser in die Kanne schütten. In der Zeit hat der Kaffeetrinker schon seine erste Tasse getrunken. Natürlich, ich weiß schon, warum das alles. Denn jeder macht seinen Tee schließlich anders. Aber für mich ist das eine Erniedrigung. Kaum ist man aufgestanden, muß man schon wieder alles selbst machen. Wo ich mich doch gerade so gemütlich hinsetzen wollte.




© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Es kommt immer was dazwischen" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung