Musikstunde

Über D-Dur, Gustav Mahler und seine 1. Symphonie (1. Teil)

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker

Konrad Beikircher
Musikstunde

Über D-Dur, Gustav Mahler
und seine 1. Symphonie

(1. Teil)


Einen sonnigen Morgen brauche ich Ihnen nicht zu wünschen, liebe Leser, den haben wir ja heute deutschlandweit - und die meisten von Ihnen haben ja vielleicht auch schon Ferien. Mit Beethovens D-Dur haben wir uns an den letzten beiden Dienstagen unterhalten, heute kommen wir wie versprochen zu Gustv Mahlers D-Dur.

...alles schon wegkomponiert!

Gustav Mahler! Seine - zeitweilige - Frau Alma Mahler-Werfel erzählt, daß Gustav Mahler, als man ihn als Kind fragte, was er einmal werden wolle, wie aus der Pistole geschossen antwortete: „Märtyrer!“.  Und als er mit Bruno Walter, dem Dirigenten und Kollegen - Mahler war seinen Zeitgenossen vor allem als genialer Dirigent ein Begriff - am Höllengebirge spazierenging, sagte er: „Sie brauchen gar nicht mehr hinzuschauen - das hab ich alles schon wegkomponiert!“. Mahler hat eine zeitlang sehr stark autobiographisch komponiert, man könnte beinahe sagen: keine Frau, mit der er was hatte, blieb unkomponiert und er komponierte die Kommentare aus seinem Innenleben auch gleich mit dazu. Das muß nicht jeder mögen: Sergiu Celibidache mochte das nicht. Mein Neffe Lukas Beikircher, heute Dirigent an der Oper in Darmstadt, besuchte einen der Sommer-Dirigier-Kurse, die Celli abhielt. In der Zeit war Lukas ein großer Mahler-Fan, was lag näher, als den „Meister“ zu fragen, was ER denn von Mahler hielte. Celli antwortete nicht. Lukas wiederholt die Frage. Wieder keine Antwort. Lukas wiederholt noch mal, da schaut ihn Celli an und sagt: „Ich denke, wir wollten über Musik sprechen?!“ und fertig. So beziehen sich viele Kompositionen direkt auf Episoden seines Lebens, oft genug hat er selbst den Schlüssel dazu geliefert.
 
Cat Stevens der (vorigen) Jahrhundertwende?

So auch bei seinen ersten beiden Symphonien. Er sagte: „Sie erschöpfen den Inhalt meines ganzen Lebens: es ist Erfahrenes und Erlittenes, was ich darin niedergelegt habe... und wenn einer gut zu lesen verstünde, müßte ihm in der Tat mein Leben darin durchsichtig erscheinen, so sehr ist bei mir Schaffen und Erleben verknüpft, daß, wenn mir mein Dasein fortan ruhig wie ein Wiesenbach dahinflösse, ich... nichts Rechtes mehr machen könnte.“ Also ist schon klar: er wollte quasi musikalische Autobiographien schreiben, wie wir es von den Cantautori, den Songwritern und vor allen Dingen den Rockern gewöhnt sind. Mahler – der Cat Stevens der Jahrhundertwende? Könnte man sagen, sensibel genug war er dafür und egozentrisch sicherlich auch. Später hat er natürlich das Autobiographische heruntergespielt, is ja immer so: wenn sie berühmt werden, dann halten die großen Geister entweder jede Blähung für eine bedeutende Äußerung ihrer Kunst oder sie wollen es nicht gewesen sein, weil sie befürchten, daß ihr Ansehen bei der Nachwelt Schaden leiden könnte. Mahler hat seine Fans um die Jahrhundertwende zur Hysterie getrieben, ein Super-Beethoven sei er, quasi ein Ü van!, ein ins Unendliche gesteigerter Bruckner. Naja, in der Zeit sind ja auch in der Malerei die größten Schinken aller Zeiten entstanden und Auguste Rodin hat auch nicht gerade Miniaturen in Bronze gegossen.
 
Der Fluch der Mumie

Es war schon ein bißchen die Zeit mit dem dicken Pinsel, die Zeit der „akademischen Kunstmaler“ und das sozusagen auf allen Gebieten der Kunst. Da paßte das Gigantische in den Symphonien Mahlers ganz gut hinein, was seine Gegner natürlich zum Kotzen fanden. Zwischen „Genial“ und „grauenhaft“ liegt die Wahrheit wohl in der Mitte. Ein bißchen böse, wenn auch aus der Bewunderung für Mahler kommend, hat Aaron Copland, einer der wichtigen amerikanischen Komponisten, 1941 geschrieben: „Der Unterschied zwischen Beethoven und Mahler gleicht dem Unterschied zwischen zwei Männern, von denen der eine tatsächlich ein großer Mann ist, der andere aber als bedeutender Darsteller die Rolle eines großen Mannes spielt.“ Er schreibt aber auch - und wie ich finde, treffend: „Die Mängel Mahlers als Komponist sind bis zum Überdruß breitgetreten worden. Gewiß, er ist langatmig, alltäglich, schwülstig, er läßt Geschmack vermissen, und zuweilen ist er ein schamloser Plagiator, indem er sein Material von Schubert, Mozart, Bruckner und einem Halbdutzend anderer seiner Lieblinge entnimmt. Daraus ist eine Musik entstanden, die zweifellos voll menschlicher Schwächen ist. Aber im Ganzen gesehen verbleibt von seinen Werken doch etwas ungemein Rührendes und wir vergessen darüber all die Schwächen. Vielleicht deshalb, weil seine Musik so ganz Mahler ist.“  Soweit der Komponist Copland über seinen Kollegen Mahler. Eigentlich fängt man erst seit zehn, fünfzehn Jahren an, Mahler zu entdecken und das zu schätzen, was bleibt. Was ihm alle zugestehen ist, daß er ein genialer Farben-Meister war: er hat Klangfarben erfunden, die bis dahin noch nie gehört wurden. Er hat übrigens ein Vorurteil bestätigt, das es seit Beethoven gibt: niemand könne mehr als 9 Symphonien komponieren. Mahler hat 9 Stück hingelegt und ist über seiner 10. gestorben. Da läge, hieß es, so was wie der Fluch der Mumie drüber. Naja, da mußte dann Schostakowitsch kommen, der hat den Fluch neutralisiert und 15 Symphonien geschrieben, und allesamt können sie sich sehen lassen.

Nächste Woche gehen wir dann mit Mahlers Erster in medias res.
Bis dahin eine herrliche Ferienzeit!

Ihr
Konrad Beikircher




© Konrad Beikircher - Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2010
Redaktion: Frank Becker