Musikstunde

Über D-Dur, Gustav Mahler und seine 1. Symphonie (2. Teil)

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker

Konrad Beikircher
Musikstunde

Über D-Dur, Gustav Mahler
und seine 1. Symphonie

(2. Teil)



Heute gehen wir der Mahlerschen Ersten mal ein wenig auf den Grund, liebe Freunde - hab ich Ihnen ja in der vergangenen Woche schon versprochen. Aber keine Sorge, wir zwinkern wie gewohnt bei allem musikalischen Ernst derweil auch mal mit dem Auge und zeigen menschliche Schwächen großer Geister auf.


Affären

1884 hat er an der 1. Symphonie angefangen zu arbeiten, am 3. Juni 1889 hat er sie in Budapest uraufgeführt. Der biographische Hintergrund war zum einen die Verliebtheit in Johanne Richter, Sängerin in Kassel, die aber einseitig blieb: Frau Richter stieß ihn zurück, ohne ihm dabei zu nahe kommen zu wollen - also Hängen auf ganzer Linie. Zum anderen gab es da die Affäre mit Frau von Weber, die sich nicht so distanziert zeigte, im Gegenteil. Dumm nur, daß sie verheiratet war. Mit dem Enkel von Carl Maria von Weber, Sie wissen schon: Freischütz und so. Frau von Weber gab sich hin, dann aber - Ende 1888 - verlief sich die Affäre wie sich solche Affären eben verlaufen: im Sande. Wäre da nicht die Symphonie, wer weiß, ob wir überhaupt noch wüßten, daß der Enkel Carl Maria von Webers eine Frau hatte. Daß er im einen Fall vor die Wand gelaufen war und im anderen auch nicht der Befriedigung höchste Gipfel erklimmen konnte führte zu dem, was man in einer gewissen Überhöhung „der Künstler leidet schneller an der Wirklichkeit als die Wirklichkeit am Künstler“ nennen könnte, oder so! 

Zu wenig Puszta

Die Uraufführung am 20. November 1889 in Budapest war nicht der Bringer, zu wenig Puszta, zu wenig „Teufelsg-a-iger“ drin, zu viel deutsches Volkslied - war nicht nach dem Geschmack der Magyaren. Da kam nur ein leises Köszönöm und das Publikum traf sich im Csardas-Keller wieder. Mahler, nicht faul, hatte eine Idee: er gab der Symphonie einen Untertitel: „Der Titan“, nach einer Erzählung von Jean Paul. Warum? Naja, weil auch in der Erzählung irgendwie ein Held geschildert wird, der scheitert, also irgendswie Ringen um Sinn des Lebens, Schicksalshadern dazwischen - darin war Mahler mindestens so gut wie Wagner in Waldweben! - Schmerz und Versöhnung. Leben halt. Und er gab den einzelnen Abschnitten Überschriften, sozusagen zum leichteren Verständnis:
„Aus den Tagen der Jugend, Jugend-, Frucht- und Dornenstücke“ stand über dem ersten Teil, darunter über dem ersten Satz: „Frühling und kein Ende. Die Einleitung schildert das Erwachen der Natur am frühesten Morgen“, ein etwas problematischer Einfall, wenn dann doch irgendwo der Schlußtakt kommt und „Mit vollen Segeln“ stand über dem dritten Satz. Den zweiten, „Bluminenkapitel“, hat er später gestrichen.
Über dem zweiten Teil stand „Commedia umana“, darunter über dem 4. Satz: „Gestrandet. Ein Totenmarsch in Callots Manier. Zur Erklärung diene, wenn notwendig, folgendes: De äußere Anregung zu diesem Musikstück erhielt der Autor durch das in Süddeutschland allen Kindern wohlbekannte parodistische Bild ‚Des Jägers Leichenbegängnis’ aus einem alten Kindermärchenbuch: die Tiere des Waldes geleiten den Sarg des verstorbenen Försters zu Grabe; Hasen tragen das Fähnlein, voran eine Kapelle von böhmischen Musikanten, begleitet von musizierenden Katzen, Unken, Krähen usw., und Hirsche, Rehe, Füchse und andere vierbeinige und gefiederte Tiere des Waldes geleiten in possierlichen Stellungen den Zug. An dieser Stelle ist dieses Stück als Ausdruck einer bald ironisch lustigen, bald unheimlich brütenden Stimmung gedacht, auf welche dann sogleich Dall’inferno al Paradiso folgt, als der plötzliche Ausdruck eines im Tiefsten verwundeten Herzens.“

Mahlers Hits und Flops

So weit unser Gustav im O-Ton. Zum Glück hat er später das alles wieder gestrichen und dazu dem Dirigenten Bruno Walter geschrieben: „Es gibt, von Beethoven angefangen, keine moderne Musik, die nicht ihr inneres Programm hat. Aber keine Musik ist etwas wert, von der man dem Hörer zuerst berichten muß, was darin erlebt ist – respektive was er zu erleben hat... Und so nochmals: peeat - jedes Programm!...Ein Rest Mysterium bleibt immer - selbst für den Schöpfer!“
Also auch hier bei Gustav Mahler wie bei Beethoven: Musik als Ausdruck des Überwindens von Widerständen, was allein die Weiterentwicklung gewährleistet: bei Beethoven von innen heraus, bei Mahler ein bißchen ‚programmiert’. Aber kommen wir zu den Hits und Flops bei Mahler: also er ist ja in Mähren aufgewachsen. Nicht gerade wahnsinnig glücklich, weil Papa hatte eine Schnapsbrennerei und dabei blieb ihm wohl der ein oder andere Kurze in der Gurgel hängen, jedenfalls nicht immer toll. Aber: Mähren! Wälder! Mährische Tiefebene! Tau an Baum und Halm! Kann man alles hören:
So hört sich das an und das ist der Anfang der Symphonie: Waldweben sozusagen,
No, dazwischen hört man von ferne die Trompeten von der Kaserne von Leitmeritz herüberblasen, was dem kleinen Gustav damals schon ganz gut gefallen haben muß, sonst hätte er sie da nicht hineingeschrieben, aber die werden wir noch öfters hören, und dazu kommt dann auch noch der Kuckuck, auf den Sie bitte besonders achten sollten, denn aus diesen Tönen macht er dann das Thema des schnelleren Teils!
 
Nee, Herr Mahler, wat schön!

Das läuft erstmal schön dahin und klingt dabei eigentlich nie wie wirklich Walzer oder so sondern immer wie die Erinnerung daran. Das ist etwas, was ich bei Mahler ganz besonders liebe, da ist er einfach grandios. Dann kommt das Trio, der Mittelteil, und da wird’s besonders toll: es klingt ein bißchen wie Schubert, nein, wie die Erinnerung an Schubert, ein bißchen wehmütig, ein bißchen süß, aber es zieht ins Herz!
Er erreicht diesen Effekt oft mit geradezu brutal einfachen Mitteln: Wechsel von Dur und Moll und schon ist es schön: zuerst kommen die Trompeten in Dur, dann in Moll, nee, Herr Mahler, wat schön!
 
Dritter Satz und bitte festhalten. Da frag ich mal: erkennen Sie die Melodie?
Jawoll, Herrschaften, Bruder Jakob, Bruder Jakob. Aber eben in Moll! Und da sieht man, wie Mahler klaut: er klaut quasi so, als ob er sich an etwas erinnere, er verwendet die Wirklichkeit so, wie sie als Echo in seinem Kopf ist und das ist doch toll, oder? Er läßt den Kontrabaß ganz hoch die Melodie spielen, dadurch klingt das so fahl, so verschleiert, so „entrisch“, wie man im Süden sagt, und schon bist du in einer ganz eigenartig künstlichen Stimmung: Du fängst eben an zu trauermarscheln, wie der Mahler-Fan zu sagen pflegt, der diesen Schritt nicht mehr aus dem Leib bekommt, solange er Mahler Fan ist!
Und gleich kommt ein Hammer: plötzlich wird der Mahler so was von schwerelos und frech, das hätte man nicht gedacht: da kommen die Oboen daher mit einer Art Böhmisch-Ungarischem Volkslied, no bitte, das macht doch Frau-i-de, oder?!
Noja der vierte Satz ist dann erstmal Verzweiflung, das geht ja so was von los und du wartest die ganze Zeit auf die Entspannung, weil solche Ausbrüche müssen ja irgendwohin führen, er steigert sich und steigert sich und steigert sich aber... er läßt dich hängen. Es atmet schön, es kommen Erinnerungen an die ersten drei Sätze, es wuchtet auch anständig aus dem Orchestergraben hoch, dann kommen die Trompeten aus der Kaserne von Leitmeritz und ab da geht’s in rasantem Triumph in ein furioses Finale, aber dazu brauch ich Ihnen nix mehr zu erklären, das werden Sie am Konzertabend alles erkennen. Und - schmunzeln dürfen Sie dazwischen auch.

Aber: es ist schon ein grandioses Werk, diese erste Symphonie und wenn man von all den Programm-Überschriften mal absieht ist es ein gewaltiger Einstieg, den der junge Mahler da in die Welt der Symphonie gefunden hat, Respekt! Sie werden bestimmt danach über die Unterschiede zwischen Beethoven und Mahler sprechen.
 
Jedenfalls wünscht Ihnen das

Ihr
Konrad Beikircher 

       


© Konrad Beikircher - Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2010
Redaktion: Frank Becker