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Die Kolumne am Mittwoch

von Friederike Zelesko
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Die Kolumne am Mittwoch
von Friederike Zelesko
 
Es ist Ferien- und Reisezeit. „Alle Bahnhöfe der Welt riechen gleichmäßig nach Steinkohle und nicht nach Versprechungen“, hatte Joseph Roth Anfang der 20er Jahre geschrieben. Der Geruch nach Steinkohle ist mittlerweile verschwunden und mit ihr der „Pfiff der Lokomotive“. Es riecht inzwischen nach Dieselöl, aber die Bohlen zwischen den Gleisen sind immer noch schwarz. Darüber spannen sich die Oberleitungen und die Tauben führen Krieg mit ihnen, aus dem sie meist amputiert zurückkehren. Es hat sich bei den Tauben noch nicht herumgegurrt, daß sie einen Stromschlag bekommen, wenn sie sich der Oberleitung auch nur nähern. Entweder fehlen dann eine oder zwei ihrer vier Zehen oder der ganze Sitzfuß und sie humpeln nunmehr auf den Bahnsteigen als Invaliden herum und benutzen den Beinstumpf als Krücke. Sie ernähren sich einseitig von den herabfallenden Krümeln der verschieden belegten Brötchen, in die die Reisenden vor Abfahrt des Zuges schnell hineinbeißen, mit den üblichen braunen Pappbechern Coffee to go in der linken Hand. Die Tauben sind zahm, fliegen nicht weg, wenn man näher kommt. Aber vielleicht irre ich mich und sie haben nur jeglichen Stolz verloren, weil sie auf Fütterung angewiesen sind. In den Tagen von Roth hatten die Reisenden ihre Butterbrote in „fleckigen Taschen“ und wenn sie sie dann im Zug in ihrem „Quadratmeter Coupé“ auf der Holzbank auspackten und nebeneinander häuften, prallte so mancher zurück in den Korridor. Damals konnte man aber die Fenster öffnen und ließ zu, daß der Wind die Gepäcknetze hochgewirbelte hatte und den Ruß in die Augenwinkel der Reisenden trieb. Heute kann man in den Zügen nur jedes zweite oder dritte Fenster oben ein wenig kippen. Im ICE geht auch kein Kippen mehr und man sitzt wie in einer Konservenbüchse mit Klimaanlage. Wenn diese aber bei über dreißig Grad Sommer kaputt geht, wird es brenzlig. Dann kippen viele Reisende um. Da lobe ich mir die Züge von anno dazumal, wo man den Waggon zum Luft schnappen verlassen konnte, auf einer eisernen Plattform gestanden hatte und auch noch kostenlos durchgerüttelt wurde, wie auf einem heute teuren Powerplate. Aber das können sich die umgekippten Reisenden der letzten Hitzewelle nun auch leisten mit fünfhundert Euro Entschädigung von Seiten der Bahn. Übrigens bekam der Bahnchef von NDR-Satiremagazin Extra 3 vergangenen Mittwoch den Sauna-Preis: Das „Goldene Handtuch“ verliehen.
           
Eines aber haben Joseph Roth und ich nicht gemein. Ich rieche noch die Versprechungen einer Reise (auch per Bahn) in einem Europa, das nicht mehr „umrandet“ ist von „Paßgesetzen und Zollrevisoren“ und glaube noch an die Ferne, nach der die Sehnsucht aller Reisenden zielt, "denn fremde Länder blühen erst hinter den Grenzen auf".
 


© Friederike Zelesko - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2010