Meuchelmord zwischen Monumentalgemälden

Salzburger „Lulu“ – unter ungünstigen Sternen

von Peter Bilsing

Foto © Salzburger Festspiele - Monika Rittershaus
Zwischen Kugeldildos
und Monumentalgemälden
gemeuchelt
 
Salzburger „Lulu“ – unter ungünstigen Sternen
 
2. Premiere am 4.August
 
Warum spielen wir die dreiaktige Fassung? Leider Konnte das Regieteam diese Frage mit ihrer Inszenierung für mich kaum überzeugend beantworten, gab es doch mit der diesjährigen „Lulu“ eigentlich von Anfang an Probleme. Ein Projekt unter einem ungünstigen Stern war geboren. Muß es denn unbedingt diese „Lulu“ sein?
 
Zuerst wollte Intendant Jürgen Flimm die Oper selber inszenieren. Dann noch die Absage des ursprünglich vorgesehenen großen Altmeisters Nikolaus Harnoncourt. Daß man die Kammeroper schließlich auch noch auf der gigantischen, kaum veränderbaren Bühne der Felsenreitschule einrichtete, ließ dem Werk von Anfang an wenig Chancen. Jedenfalls nicht die Chancen, welche der Opernfreund sich von einer Nemirova-Produktion erwartete. Für eine recht einfallslos vom Blatt gespielte Oper kommt man eigentlich nicht nach Salzburg.
 
Von Anfang an auch der fade Beigeschmack, daß die riesigen Gemälde und Vorhänge des Bühnenbildners Daniel Richter, bei denen man irgendwie den Eindruck hatte, sie seien in erster Linie entstanden, um den Bühnenleerraum zu überbrücken und nicht unbedingt der Kunst und des Stücks willen. Wie nicht anders zu erwarten erschlugen sie prompt die ganze Inszenierung. Ein altes immer wiederkehrendes Problem: In wieweit paßt bzw. unterwirft ein großer Künstler sein künstlerisches Ego einem Stück Musiktheater? Waren es der überpräsente Wiener Maler und Bildhauer Alfred Hrdlicka beim Meininger Ring der Mielitz oder Werner Tübke einst beim Bonner Freischütz, bzw. der Rosalie-Ring in Bayreuth – am Ende und in der Erinnerung verband man stets nur noch den darstellenden Künstler mit dem Werk. Die Kernfrage aber, nämlich: was will uns der Künstler Neues über das Werk sagen, bleibt und blieb außen vor. Schade.
 
Dabei hat Vera Nemirova den Kern des Stücks, wie bei allen ihren auch sonst immer großartigen Produktionen sicher analysiert. „Es handelt sich nicht um ein psychologisierendes Seelendrama. Es geht um die Geschichte einer jenseits von moralischen Kategorien, von Schuld und Intrige agierenden Kraft, die Kraft der Triebhaftigkeit, des Eros in einem bürgerlichen Umfeld.“ Jetzt mal Hand aufs Herz: Wen interessiert dieses Thema in dieser Form abgehandelt noch ernsthaft nach der sexuellen Revolution der 60er? Daß die Nemirova dann noch in die uralt und massenhaft abgespielten Mätzchen der 70er Jahre-Theatersprache verfällt, nämlich im dritten Akt das Licht anzulassen und die Handlung ins Parkett zu verlegen (Ja…ihr, ihr! - teures Publikum seid in Wirklichkeit gemeint!) ist ein geradezu rührseliges „deja vu“ und überflüssig naiv, außer man sieht es als Notlösung, weil man mit dem umstrittenen „Dritten Akt“ sonst nichts anfangen kann. Daß es doch tatsächlich noch einige verwirrte Besucher gab, die auf den teuersten Plätzen diesen Uralt-Theater-Gag für Realität hielten und beständig versuchten, ihre teuren Plätze einzunehmen, spricht für sich.

Foto © Salzburger Festspiele - Monika Rittershaus

Wenn man einer Vera Nemirova, einem der größten Regietalente der heutigen Opernwelt für ihre Inszenierung die Note „gerade noch ausreichend“ geben muß, dann stimmt das den Kritiker, der eigentlich ein großer Nemirova-Fan ist, traurig. Hat sie doch genau die Partitur und das Libretto intellektuell durchleuchtet, wenn sie schreibt: „Die LULU bleibt in der Partitur ein blinder Fleck, schwer zu fassen…es ist jeweils der Blickwinkel der Männer – oder der Frauen – auf LULU, der sie definiert.“ Genau! Aber das ist meistens so harmlos und uninspiriert umgesetzt wie der simple Schluß der ersten Szene; Medizinalrat kommt, reißt die Augen auf, faßt sich ans Herz und plumpst aufs passend bereit stehende Bett. Schnarch!
 
Überhaupt wird opernsteinzeitlich viel zuviel mit den Augen gerollt, was man, Gott sei Dank, nur in der TV-Aufzeichnung sieht, die mal wieder nach dem Motto eines Eishockeyspiels abläuft: (Wo der Puck ist, ist die Kamera); falsche Schnitte und unpassende Schwenks zeugen von sehr mangelhafter bis keiner Vorbereitung der ORF-Kameramänner. Andererseits sind die Künstler nicht nur (dank Mikroports) viel besser zu verstehen und vor allem ist es so textverständlicher. Allein der uninspirierte Klang der Wiener Philharmoniker bleibt gleich, klingt aber im TV wärmer. Alles sah nicht nur optisch nach „Pflichterfüllung“ aus. Blöd, daß der Orchestergraben zur Hälfte hochgefahren war. So mußte man der beinahe peinlichen Höflichkeitspflicht dezenten Beifallsklopfens für die Bühnenkünster und den Dirigenten zumindest teilweise nachkommen.
 
Was hätte ein Pierre Boulez oder Gerd Albrecht hier an Klang gezaubert!
 
Marc Albrecht ist ein guter Dirigent, aber weshalb wir von dieser ergreifenden Musik doch über die Jahrzehnte so begeistert sind, erschloß sich mir und vielen Berg-Fans weder live in der nicht vorhandenen Akustik der Felsenreitschule, noch in der nachträgliche TV-Aufzeichnung - über eine superbe Tonanlage wiedergeben. Man höre sich nur die exzellenten Böhm- oder Boulez-Aufnahmen an! Besonders motiviert erschienen mir die Wiener Philharmoniker ohnehin nicht, auch wenn sie bei der Bühnenmusik durch das „Upper Austrain Jazz Orchestra“ und von „Mitgliedern der Angelika Prokopp Sommerakademie der Wiener Philharmoniker“ fleißig und ruhmreich unterstützt wurden. Eine Musikerin am Horn, die einzige Dame (wenn ich es richtig gesehen habe), die neben der obligaten Harfenistin die Ehre hatte, in diesem Männerverein die Gnade des Musizieren zu bekommen, wurde wirkungsvoll oft von den ORF-Mannen (wie bei den Neujahrskonzerten) ins Bild gesetzt; nur ein Schelm würde unterstellen, daß dies absichtlich geschah, um z.B. die ohnehin ständig gegen die Wiener Philharmoniker aufgebrachten US +A Frauenverbände zu beruhigen und so die Verkaufs-Auflage in den Staaten nicht zu gefährden. Honi soit...


Foto © Salzburger Festspiele - Monika Rittershaus
 
Nun zum sängerischen Personal; hier gibt es über wenig Schatten, sondern eigentlich nur über  Licht zu berichten. Was sagte Berg selber über die Hauptrolle, die sängerisch zum blanken Wahnsinn zu zählen ist. "Erstens muß die Lulu gut aussehen, aber schon sehr gut aussehen. Zweitens muß sie eine leichte bewegliche Stimme haben, die mit der oberen Quint aber auch nicht die geringste Schwierigkeit hat." Da hat man mit Patricia Petibon nun eine wirklich grandiose Künstlerin auf der Bühne. Sie gibt alles und muß neben der unwahrscheinlich komplizierten Kehlkopfartistik auch noch stets aktiv körperlich präsent sein und agieren. Ihre kühle Erotik entspricht dem zurückhaltenden Regiekonzept. Etwas problematisch wird es bei ihrer deutschen Aussprache: Als Französin ist sie dem Gesanglichen noch gewachsen, beim Deklamatorischen sind dann die Übertitel doch sehr hilfreich. Eine perfekte Lulu sollte hier unbedingt mit einem Sprachmentor arbeiten.
 
Der Rest des grandiosen Teams hatte die Qualität, die für eine CD-Aufnahme ausreicht: Tanja Ariane Baumgartner (Geschwitz) sang und spielte perfekt, Dr. Schön/Jack kann man kaum besser besetzen als mit als mit dem fulminanten Michael Volle, Thomas Piffka (Alwa/Schöns Sohn) festigt sein internationales Renommee als großer Sängerdarsteller; was soll man über den „Grand Gentleman der Oper“ Franz Grundheber (Schigolch/Greis) noch sagen – der Künstler ist sogar ein Hoch-Genuß, wenn er nur spricht.
 
Die Nebenrollen ausnahmslos mit Festivalqualität: der große wunderbare Heinz Zednik als Kammerdiener/Prinz, großartig Cora Burggraf als Gymnasiast/Gardrobiere, was für ein Körper und welch gute Stimme: Pavol Bresnik als Maler/Neger, Thomas Johannes Mayer war ein überzeugender Tierbändiger.

Foto © Salzburger Festspiele - Monika Rittershaus
 
Am Ende möchte ich aber noch die fabelhaften Kostüme von Klaus Noack loben. Die phantasievolle Vielfalt in ihrer prägenden Individualität paßte perfekt jeweils zu Szene und Situation: bunt, wo es sein muß, morbid wo es sich ausgeht, modern, wo es nicht berührt. Die Kostüme der Lulu wie immer ein Traum! Bravissimo!
 

Redaktion: Frank Becker