Alptraum ohne Schlaf

Macbeth als erste Premiere der Spielzeit 2010/11 in Wuppertal

von Martin Hagemeyer
Alptraum ohne Schlaf
 
Macbeth als erste Premiere der
Spielzeit 2010/11 in Wuppertal
 

Inszenierung: Claudia Bauer - Bühne & Kostüme: Patricia Talacko / Bernd Schneider – Musik: Charles Petersohn – Dramaturgie: Sven Kleine – Fotos: Uwe Stratmann
Die Besetzung:
Macbeth: Holger Kraft  -  Lady Macbeth: Sophie Basse
Hexe, Banquo, Pförtner, Macduffs Sohn, Der junge Siward: Daniel Breitfelder
Hexe, König Duncan, Macduff, Mörder, Seyton: Marco Wohlwend
Hexe, Prinz Malcolm, Pförtner, Lady Macduff, Mörder: Sebastian Stert


Erst am Ende ist Stille
 
Erst am Ende ist Stille. Nur wabernder Nebel über Blutlachen, Babykörper auf zerknüllten Decken. So zeigt sich die Bühne nach den knapp zwei Stunden der aktuellen „Macbeth“-Inszenierung im Wuppertaler Kleinen Schauspielhaus. Claudia Bauer hat für Shakespeares Tragödie ein alptraumhaftes Szenario geschaffen, in dem die Titelfigur niemals zur Ruhe kommt.
Macbeth tötet seinen König, der als Gast in seinem Haus schläft, er „tötet den Schlaf“, wie es heißt, und leidet fortan an Schlaflosigkeit. Die Inszenierung legt den Fokus auf diese Rastlosigkeit, mit der er von einem Verbrechen zum nächsten wankt – der Ausschaltung des Mitwissers Banquo und seines Sohnes, dem Auftragsmord an der Familie von Macduff, der zum Widerstand rüstet. Dem dient ein Kunstgriff, der das gesamte Stück prägt: Daniel Breitfelder, Marco Wohlwend und Sebastian Stert sind nicht nur die drei langhaarigen Hexen, die Macbeth voraussagen, er werde König sein; vielmehr nehmen sie von König Duncan als debilem Grabscher bis hin zu den gedungenen Mördern auch alle weiteren Rollen ein. Murmelnd und gestikulierend begleiten sie die Handlung im Hintergrund, ehe sie sich mit kleinen Kostümwechseln blitzschnell in die verschiedenen Figuren verwandeln – der Übergang ist fließend. Dadurch entsteht der Eindruck, daß das Böse durchgängig präsent ist und Macbeth in seinem Bann.


Holger Kraft, Sophie Basse - Foto © Uwe Stratmann
 
Brüchige Souveränität

Holger Kraft in der Titelrolle macht deren Zerrissenheit sichtbar. Von Selbstsicherheit zu Wahnvorstellungen, von kühlem Kalkül zu Besinnungslosigkeit ist Macbeth kaum jemals Herr der Situation. Doch auch seine Gattin zeigt Schwäche: Sophie Basse gibt Lady Macbeth nicht dämonisch, wenn sie auch ihren Mann zur Ausführung der Tat drängt. „Weg mit dem Mitleid - das - das darf da nicht sein“, beschwört sie sich selbst zu Beginn fast stammelnd. Im Griff zu haben scheinen sich die Eheleute auf Macbeths Krönungsfeier, wo es zu einer absurden Plauderrunde kommt: Beim Kaffee tauscht man sich mit Banquo aus über dessen Sohn („der ist aber sehr klein für sein Alter, hm?“) und die Vorzüge des Stillens („spart ja auch Babynahrung“). Man darf vermuten, daß solche Szenen aus Improvisation entstanden sind. In ihrer Flapsigkeit muß man sie nicht mögen; aber sie vermitteln doch den Eindruck der brüchigen Souveränität von Macbeth und seiner Frau, die sich kurzzeitig ihrer Sache sicher sind.
 
Atemlose Inszenierung überzeugt

Daß alles in Wahrheit ein Alptraum für Macbeth ist, daran besteht dabei kein Zweifel. Beängstigend gut getroffen wird die eigentümliche Wahrnehmung des Träumens, als Macbeth erneut die Hexen aufsucht, um Klarheit über seine Zukunft zu gewinnen: Obszön scheinen sie ein Kind und eine Pflanze zur Welt zu bringen - als Symbol für die scheinbaren Garantien, Macbeth werde unbesiegt bleiben von jedem, der „von einer Frau geboren“ wurde und solange „die Wälder von Burnam“ sich nicht auf sein Schloß „zubewegen“.


Sebastian Stert, Daniel Breitfelder, Holger Kraft, Marco Wohlwend - Foto © Uwe Stratmann

Die Gewaltdarstellung gehört hingegen nicht zum Schockierendsten der Inszenierung. Zwar wird auch in Wuppertal mit Theaterblut nicht gespart; aber die Täter tragen es für alle ersichtlich per Sprühdose und keineswegs realistisch auf ihre Opfer auf, sodaß man dabei zuschauen kann, wie die Morde gespielt werden. Auch dies fügt sich in seiner Vermischung der Realitätsebenen in das Gesamtbild ein.
Macbeth ist eine Gestalt, die zwischen Schicksal und eigenem Willen schuldig wird. Die atemlose Inszenierung überzeugt, indem sie diese Getriebenheit vorführt.
 
Redaktion: Frank Becker