Dokumente aus tausend Jahren

Das Ruhrgebiet - Ein historisches Lesebuch

vom Matthias Dohmen
Mille hoch zwei
 
Dokumente aus rund tausend Jahren, darunter Urkunden, Briefe, Gedichte, Reportagen und politische Dokumente, enthält das zweibändige Werk „Das Ruhrgebiet. Ein historisches Lesebuch“, das Klaus Tenfelde und Thomas Urban im Essener Klartext-Verlag herausgegeben haben. Über tausend Seiten in einem stabilen Schuber umfaßt das Lesebuch, das mit 44 Euro preisgünstig zu nennen ist.
Einer allgemeinen Einleitung, in der die Region hinsichtlich Raum, Zeit und Quellen vermessen wird, folgen 18 Kapitel, die thematische Überschriften haben und innerhalb derer die Dokumente streng chronologisch geordnet sind. Das opulente Opus runden eine Erklärung bergmännischer Fachausdrücke, sehr hilfreich für Leserinnen und Leser jenseits der Montanregion, eine übersichtlich gestaltete Auswahlbibliografie sowie ein Register ab, bei dem sich der Rezensent allerdings fragt, warum Personen und Orte nicht gesondert abzufragen sind.
 
Über das Städtekonglomerat um Essen, Dortmund und Bochum ist im Jahr der Kulturhauptstadt viel geschrieben worden. Die Herausgeber definieren es so: „Das Ruhrgebiet ist nicht von Fürsten, es ist von Menschen der Moderne ‚gemacht’ worden, von Unternehmern und Arbeitern.“ Der „ausschließliche Entstehungsgrund“ für die nach London und Paris größte Ballungsregion in Europa „war der Aufstieg der Montanindustrie, von Bergbau und Stahl, im Zeitalter der Industrialisierung“. Daß weder Kaiser noch Könige, Fürsten und Erzbischöfe mit ihren repräsentativen Sitzen bei der Geburt dabei waren, ist schließlich der Grund dafür, daß es „die“ Ruhrgebietsstadt nicht gibt und im Gegenteil die administrativen Zentren der drei nordrhein-westfälischen Regierungsbezirke, die sich den „Pott“ teilen, mit Düsseldorf, Münster und Arnsberg alle außerhalb der Ruhrregion liegen.
 
Wer zum Beispiel einiges über die revolutionäre Nachkriegskrise und ihre Bewältigung erfahren will, ist mit den Kapiteln „Weltkrieg, Bürgerkrieg, Besetzung 1914 - Das „unberechenbare Jahrzehnt“ und „Weimarer Republik - Zwischen scheinbarer Stabilisierung und Weltwirtschaftskrise“ gut bedient. Flugblätter von Arbeiter- und Soldatenräten, Polizeiberichte und Eingaben von Zechenherren bei der Reichsregierung lassen ein lebhaftes Bild davon entstehen, welche Auseinandersetzungen die Weimarer Republik geprägt und es den demokratischen Kräften schwer gemacht haben, dem rechten Generalangriff zu widerstehen.
Denn die ohnehin teuer erkaufte sogenannte Stabilisierung 1924 ff. war „weder von Dauer noch von tiefgreifender Natur“ (S. 551). Belegt wird diese These mit einer Reportage von Egon Erwin Kisch und zahlreichen politischen Dokumenten und Berichten.
 
Der Bogen ist weit gespannt. Im ältesten Dokument, das wiedergegeben wird, berichtet ein Mönch über sein Leben im 9. Jahrhundert. Schlaglichter auf die jüngste Zeit werfen am Ende des zweiten Bandes Herbert Grönemeyers Lied über die Currywurst, ein Text über „türkische Gärten und Literatur der Migranten“, ein Artikel über „BVB, Schalke & Co.“, ein dem Internet entnommener Beitrag über die erste Ruhrtriennale, Dokumente zur Kulturhauptstadt 2010 und Frank Goosens Hymne auf Frittenbuden.
Ein buntes Bild.
Und eine Veröffentlichung, die das Jahr 2010 genau so überleben wird wie der im Kölner Emons-Verlag kürzlich erschienene und etwa gleich teure „Atlas der Metropole Ruhr“. „Ruhrgebiet satt“ titelte dazu ein Rezensent, und die lobend gemeinte Bemerkung kann uneingeschränkt auch für das besprochene Lesebuch gelten.

Klaus Tenfelde/Thomas Urban, Das Ruhrgebiet. Ein historisches Lesebuch, Essen: Klartext-Verlag 2010, 1106 Seiten, 2 Bde. im Schuber, Abb., € 44,00 - ISBN 978-3-8375-0286-2

Weitere Informationen unter: www.klartext-verlag.de

Redaktion: Frank Becker