Musikstunde

Eine Plauderei über den Tenor Anton Raaff und seine Zeit (3)

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker
Konrad Beikircher
Musikstunde
 
Eine Plauderei über den Tenor
Anton Raaff und seine Zeit (3)



Nachdem ich Ihnen in der vorigen Woche die Zähne lang gemacht habe, möchten Sie doch bestimmt wissen, was es mit der Aloysia Weber und Raaff auf sich hatte. Jetzt erzähle ich es Ihnen.
 
Man lernt sich peu à peu kennen, daß aber im Februar 1778 Raaff über Aloysia Weber - Sie wissen schon: Mozart und die vier Töchter des Mannheimer Bassisten Fridolin Weber, ein Kapitel für sich: in Aloysia war er verliebt, die wies ihn zurück, daraufhin heiratete er deren Schwester Konstanze, beide aber sangen nicht so gut wie die dritte Schwester Josepha, die immerhin die erste Königin der Nacht war und eine gute obendrein, und die jüngste des Quartetts, Sophie, saß beim Schwager Mozart am Sterbebett und schrieb den berühmten Bericht über die letzten Stunden dieses Genies - daß also Raaff über Aloysia Weber’s Stimme ein positives Urteil abgab, scheint auch Mozart Raaff geneigter gemacht zu haben, denn schon ein paar Tage später ist Mozart zu Gast bei Raaff und bringt ihm auch gleich die Konzertarie mit, die wir eben gehört haben: Se al labbro mio non credi!
 
Darüber schreibt er an seinen Vater Leopold:
”Die Aria hat ihm überaus gefallen. Mit so einem Mann muß man ganz besonders umgehen. Ich habe mit Fleiß diesen Text gewählet, weil ich gewußt habe, daß er schon eine Aria auf diese Wörter hat; mithin wird er sie leichter und lieber singen. Ich habe ihm gesagt, er soll mir aufrichtig sagen, wenn sie ihm nicht taugt oder nicht gefällt; ich will ihm die aria ändern, wie er will oder auch eine andere machen. Behüte Gott, hat er gesagt, die Aria muß bleiben, denn sie ist sehr schön, nur ein wenig bitte ich Sie, kürzen Sie mir’s ab, denn ich bin izt nimmer so im stande zu soutenieren. Von Herzen gern, so viel Sie wollen, habe ich geantwortet; ich habe sie mit Fleiß etwas länger gemacht, denn wegschneiden kann man allzeit, aber dazusetzen nicht so leicht. Nachdem er den anderen Theil gesungen hat, so that er seine Brülle herab, sah mich groß an und sagte...schön, schön! Das ist eine schöne seconda parte, und sagte es 3 mahl. Als ich weggieng, so bedanckte er sich sehr höflich bey mir; und ich versicherte ihm im Gegenteil, daß ich ihm die aria so arangieren werde, daß er sie gewiß gerne singen wird; (und jetzt kommt einer der berühmten Sätze Mozarts) denn ich liebe, daß die aria einem Sänger so accurat angemessen sey, wie ein gutgemachtes Kleid”
 
Ab da beginnt zwischen den beiden eine Beziehung, die man als wirkliche Freundschaft bezeichnen kann und die im Idomeneo ihre Apotheose findet. In Mannheim besucht man sich beinahe täglich und als Raaff und Mozart 1778 in Paris weilen, ist in dieser für Mozart sehr schwierigen Zeit Raaff der Mensch, zu dem Mozart absolutes Vertrauen haben konnte und hatte.
Raaff hat ohne Zweifel das Genie in Mozart erkannt und geschätzt, vielleicht auch die leichte Lebensart des jungen Draufgängers goutiert. Auf jeden Fall hat er versucht, das Seinige dazu beizutragen, Mozart den Weg zu ebnen und ihm Aufträge zu verschaffen.
Ein bißchen was hat allerdings auch Mozart selbst dazugetan: zum einen widmete er die sechs Sonaten für Violine und Klavier (KV 301 - 306) der Kurfürstin, zum anderen komponierte er für die offizielle Mätresse des Kurfürsten, die Gräfin Paumgarten, die auch singen konnte, Rezitativ und Arie KV 369 ”Misera! Dove son?” ”Elende! Wo bin ich?”. Also wie man sieht: nicht unclever, unser Mozart!
1780 klappte es dann endlich: Mozart bekam den Auftrag, für die kommende Saison die große Karnevalsoper zu komponieren: den Idomeneo. Ja, Sie haben richtig gehört: Karnevalsoper!
Das paßte doch zum rheinischen Jung Anton Raaff, oder? Hier kam es nun zu einer wirklichen Zusammenarbeit zwischen Raaff und Mozart, zwischen dem alten Sänger und dem Avantgarde-Komponisten.
Ich meine, das muß man sich mal vorstellen: ein Sänger, der den Zenith seiner Stimme längst schon überschritten hat und der ohnehin der Repräsentant der alten italienischen Art zu singen war, der wie eine Barockstatue auf der Bühne stand und dessen einzige schauspielerische Leistung das Öffnen des Mundes gewesen zu sein scheint, der zwar über eine Technik verfügte, die den Jungen nicht mehr zur Verfügung stand aber ansonsten quasi so was von out war und auf der anderen Seite ein 24 Jahre alter Komponist, der nicht nur der Komponist einer neuen Zeit, einer neuen Opernauffassung und damit einer Raaff ziemlich fremden Welt war, sondern der auch noch in seiner Musik  bis dahin nicht zugelassene Tiefen der menschlichen Seele erreichte und ausdrücken konnte und das nicht nur mal so als passageres psychologisierendes Töne-Gehexe sondern bewegend und gültig für alle Zeiten.
Raaff wäre nicht der Sänger gewesen, der er war, wenn er das nicht gespürt hätte.
Und es muß ihm Angst gemacht haben. Plötzlich ist er auf seinen Ruf bedacht. Er bittet ständig um Änderungen, um Rücksicht auf seine altersbedingte Kurzatmigkeit, um solistische Behandlung und um Gottes Willen keine Ensemble-Partien. Er kämpft um jede Silbe, daß sie ihm nur ja gut auf der Zunge liege und führt sich auf wie eine Filmdiva, die vor lauter Aufgedonnere im Schminkraum gar nicht mehr zum Drehen kommt. Es muß so ziemlich Callas-mäßig abgegangen sein.
Und was macht Mozart? Er geht auf Raaff ein, er ändert, er streicht, er ändert wieder und ist monatelang ein Erzengel an Geduld. Das kann nicht nur damit zu tun haben, daß Mozart Raaff wirklich mochte. Es muß damit zu tun haben, daß die Auseinandersetzung mit den Änderungswünschen Raaffs für Mozart der Prüfstein für seine Auffassungen waren; an ihnen schärfte sich sein Blick für Personenführung auf der Bühne, für Dramaturgie und für die Richtigkeit seiner modernen, ja fast psychoanalytischen Auffassung von Musiktheater. Deshalb bleibt er bis zuletzt offen für Raaff:
”Nun giebt es noch eine Veränderung, an der Raaff schuld ist - er hat aber recht; und hätte er nicht - so müßte man doch seinen grauen Haaren etwas zu gefallen thun.“
 
Meine lieben Musenblätter-Leser – ist das nicht eine schöne Geschichte über Musik, Freundschaft und einen echten Generationen-Vertrag? Und das beste: sie ist wahr!
 
 
Ich wünsche Ihnen einen goldenen Oktober!
 
Ihr
Konrad Beikircher
 

© Konrad Beikircher - Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2010
Redaktion: Frank Becker