Genieß ich jeden Augenblick

Michael Blumenthal inszeniert Faust II in Hof

von Alexander Hauer
Hof
Faust II
Premiere am 8.10.2010


Genieß ich jeden Augenblick

 

Es sind schon viele daran gescheitert, an Goethes Opus Magnum, jenem hochphilosophischen Alterswerk. Die Umsetzung von Michael Blumenthal, der gemeinsam mit Hausdramaturg Thomas Schindler eine kluge Strichfassung erarbeitete, gelang auf ganzer Linie. Goethe und auch wieder nicht.

Eine Reise durch die Irrtümer der Welt

Das  Scheitern Mephistos (Wolfgang Kaiser) ebenso gealtert wie sein Faust (Ralf Hocke) war ja
schon im ersten Teil absehbar, die Unfähigkeit Mephistos, Gretchen aus dem Kerker zu erretten, ließ Faust vertragsbrüchig werden. Im zweiten Teil emanzipiert sich Faust von Mephisto bei ihrer gemeinsamen Reise durch die große Welt. Die Verzweiflung, die Faust nach dem Tode Gretchens ergriff, wich neuem Tatendrang. Er will schaffen, bewirken und ändern. Sie treffen auf einen Kaiser, herrlich Jörn Bregenzer als überforderter Herrscher, der seinen Hofstaat nicht mehr unterhalten kann. In diesen Karneval der Tagespolitik kommen zwei Heilsversprecher wie Faust und Mephisto gerade recht. Wo die Alchemisten versuchten Gold herzustellen und daran scheiterten, gelingt das dem Gespann scheinbar. Die Erfindung des Papiergeldes, und damit die Erfindung der Inflation. Die Probleme sind gelöst, scheint es, wie ein Konfettiregen und genauso wertlos überschwemmen die bunten Schnipsel den Hof und wiegen den Herrscher erstmal in Sicherheit, das süße Leben geht weiter. Und dazu gehört die Beschwörung von Helena und Paris. Der schöne Jüngling, Faustens junges alter ego (Sebastian Sielke), löst bei Faust eine Eifersuchtskrise aus. Sein Versuch Helena (sein Gretchen aus dem ersten Teil, Polina Bachmann) zu ergreifen scheitert.

Fausts und Mephistos Scheitern

Wagner, Faustens staubtrockener Famulus, hat auf den Grundlagen des Wissens seines  Lehrherrn Karriere gemacht. Sein Meisterwerk: Homunkulus (Jonas Willardt vom Hofer Jugendtheater), ein Stephen Hawking, hochintelligent aber eigentlich lebensunfähig, deutet Faustens Träume und sendet ihn ins antike Griechenland. Hier auf antikem Boden verliert sich wiederum Mephistos Macht, seine beschränkt sich nur auf „christliche“ Geister. Als Phorkyas rät er der aus Troja heimgeführten Helena
mit Faust zu fliehen. Raum und Zeit werden aufgelöst, im Mittelalter finden Faust und Helena zusammen, zeugen einen Sohn Euphorion, der ihre Beziehung durch seinen scheinbar mutwilligen Tod im Kriegseinsatz zum Scheitern verurteilt.
Mephisto präsentiert sich wieder als großer Strippenzieher. Im Krieg verhilft er dem Kaiser zum Sieg über einen Gegenkaiser, Faust läßt sich dafür mit den Küstengebieten des Reiches belohnen, dort will er dem Meer Land abgewinnen für eine Nation ohne Sorge.  Bei seinem Versuch Gutes zu schaffen scheitert er kläglich, weil er das Hüttchen von Philemon und Baucis, wunderbar in dieser kleinen Szene Regula Fischbach und Peter Kampschulte als aneinander geschmiedetes altes Liebespaar,  niederreißen läßt. Der Augenblick des höchsten Glücks scheint gekommen. Frei und unabhängig könnte der alte Faust sein Alter genießen, da erscheinen vier Weiber: Schuld, Mangel, Not und Sorge. Die ersten drei können Faust nichts anhaben, aber die Sorge wird er nicht los. Erblindet kann er seine Fehler nicht mehr revidieren, um sie zu beheben müßte er noch einmal ein vollkommen neues Leben starten. Doch erst im Sterben kann er den höchsten Augenblick in einer Zukunftsillusion genießen. Um seine Seele streiten sich der Herr und Mephisto. Mit Hilfe dreier Engel, die den alten Mephisto durch sexuelle Verlockungen ablenken, bemächtigt sich der Herr Faustens. Der arme Teufel geht, trotz aller Bemühungen, leer aus.
 
Goethes Blick in die Zukunft

Gut drei Stunden braucht Michael Blumenthal für die Reise durch die große Welt. War die kleine Welt eine Tour durchs Bürgerliche, durch die Provinz, geht es im Faust II um die große Politik. Die Zeit, in der Goethe seinen zweiten Teil geschrieben hat, war eine Zeit voller Umbrüche, der Beginn der
industriellen Revolution. Wir erleben den Urknall des Kapitalismus und in dessen Folgen richtet sich heute auch noch unsere Zeit ein. Sah Goethe die Börsenkräche, die Überheblichkeit der Banken, unterstützt durch unfähige Politiker voraus? Fast möchte man es glauben. Vieles was er in seinem Werk beschreibt, trifft haargenau auf die heutige Zeit zu. Zusammen mit dem Ensemble des Hofer Theaters gelangen Blumenthal anstrengende, aber interessante drei Stunden höchster Schauspielkunst. Neben den Berufsschauspielern brillierten die von Claudia-Maria Wagner einstudierten jungen Leute vom „Jugend-Ensemble Theater Hof“. Da wächst eine junge Garde heran, auf die man sich freuen kann. Wie so oft beweist die sogenannte Provinz, das kleine Stadttheater, seine Fähigkeiten und sein Können. Höchste Erwartungen werden erfüllt, auf einem Niveau, das sich nicht verstecken muß. Sprechdisziplin, die Fähigkeit, an einem Abend die verschiedensten Rollen zu interpretieren, ohne dabei ins Belanglose abzugleiten, ist der Beweis für die Qualität des Hofer Schauspielensembles. Gut gestrichen, fein interpretiert, sehenswert. Ein mehr als gelungener Auftakt für die neue Schauspielsaison, die noch viel bieten wird.

Bilder  SFF Fotodesign Hof
Weiter Informationen unter:  www.theater-hof.com

Redaktion: Frank Becker