Knabberzeugs

von Hanns Dieter Hüsch

© André Poloczek / Archiv Musenblätter
Knabberzeugs
 
Wenn ich eins nicht ausstehen kann oder einfach nicht mag  weil, wenn man damit anfängt, man nie mehr aufhört und außerdem, so lecker sind sie ja nun auch wieder nicht -, dann sind das diese, ist das dieses Knabberzeugs, was man eigentlich mehr so nebenbei hingestellt bekommt, wo alle Welt dann stundenlang drüber herfällt und knabbert und knabbert und knabbert. Wie die Kaninchen sitzen alle da und nagen und knacken und knabbern, als gäb’s das nur noch drei Tage oder als hätte niemand dieses Zeugs jemals gesehen und gegessen. Das sind so Kleingebäcksorten, die wie Rauschgift verschlungen werden, so Kräckerchen mit Käse oder Kümmel oder Mohn oder überhaupt alle Arten von Chips. Es soll Leute geben, die sich solche Sachen von des Gastgebers Tisch heimlich und haufenweise in ihren Kulturbeutel werfen und durch dunkle Nebengassen nach Hause schmuggeln. Ich kann mir das Zeug nicht antun. Nüsse - gut, in allen Arten, da bin ich auch schon mal süchtig und grabsche gleich zwölf auf einmal, obwohl das auch eine Plage ist, denn man ruht ja nicht eher, bis die Schale leer ist, und bevor der Nachbar die letzten zwei nimmt, reißt man noch die vorletzten drei an sich, weil man einfach nicht aufhört wiederzukäuen, bis die Kuh vom Eis ist. Bei Nüssen darf übrigens mit vollem Mund gequatscht  werden. Aber die in Zellophan verpackten, vom Ober meist lässig zwischendurch auf den Tisch geworfenen Grissini-Stängelein kommen bei mir wie eine Strafe an. Ich weiß, daß alle Welt hier spätestens den professionellen Kopf schüttelt, aber für mich ist das schlimm. Warum, weiß ich nicht, und das macht alles noch schlimmer. Vermutlich weil die internationale Knabbergesellschaft noch nie so recht mein Fall war. Aber man soll ja nicht alles auf die Gesellschaft schieben, oder aber man sollte nicht hingehen. Ich glaube, es liegt am Geschmack, also was man schmeckt. Auch bei Brezelchen oder Pußta-Kräckern und Dschingis-Khan-Chips merkt man den Geschmack und ist verstimmt. Und dennoch hört der Mensch nicht auf, das weiter in sich hineinzustopfen, schon leicht betäubt, obwohl er schon beim dritten Brezelchen gedacht hat, nun ist’s aber gut, das war das letzte Kleingebäck. Nein, er schmeckt nur noch und achtet darauf, daß er immer ein bißchen schneller ist als sein Nebenmann. Ist es eine Nebenfrau holt er fürsorglich gleich zwei neue Schüsseln mit Chips und Brezelchen und Käseknäckerchen und Mohnknabberchen. Soll sein, soll sein! Aber einmal muß doch dem der Mund überlaufen, wem der Hals zu voll ist. Mit Nüssen kann man wenigstens noch durch die Gegend werfen, wenn die Party zu langweilig wird. Aber mit Chips oder Brezelchen oder Grissini, da wird man ja zum Samurai, will sagen, da stürzt man sich doch ins Schwert, wenn einem das Kleingebäck schon aus den Ohren kommt.



© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Es kommt immer was dazwischen" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung