Um die Ecke

Ein Kalender aus dem asso Verlag mit Bildern aus den 50ern und 60ern des Ruhrgebiets

von Frank Becker

© www.assoverlag.de und  www.ruhrlandmuseum.de
...aussem Leben

Neues aus der Siedlung


Sie waren damals auch dabei? Als Deutschland nach dem Krieg in Trümmern lag, die Industrieregion des Ruhrgebiets von alliierten Bombenteppichen nahezu in die vorindustrielle Zeit zurückgeworfen war und die, die es zu Hause überlebt hatten und jene, die aus der Kriegsgefangenschaft in ihre zerstörten Städte zurückkamen, ihre Heimat wieder aufbauen mußten. Es war - vor allem für die „kleinen Leute“ - ein Anfang bei Null. Aber man hatte über die schlimme Zeit der braunen Gewaltherrschaft und über den beinahe jede Familie betreffenden Tod von Kriegs- und Bombenopfern etwas herübergerettet in die neue Zeit: einen unerhörten Optimismus und den sprichwörtlichen Fleiß, der Deutschland und besonders das Ruhrgebiet einst zur Blüte gebracht hatte.
 
Nach den Hungerwintern 1945-1948 und Jahren des Überlebens im Provisorium ordnete sich die Welt für die Deutschen neu. Unter dem ersten Bundeskanzler Konrad Adenauer und dem
 
  © Willy van Heekern / Fotoarchiv Ruhr Museum
Bundespräsidenten Theodor (Papa) Heuss wurde im nun geteilten und von den Siegermächten besetzten Land mit ungebrochenem Mut ein Wiederaufbau begonnen, der in der Geschichte wohl einzig ist. Mit 40,- DM pro Kopf begannen die Deutschen (West), ihre Heimat neu zu gestalten. Bald folgte das Wirtschaftswunder, dessen Vater Ludwig Erhardt mit Doppelkinn, Bauch und Zigarre quasi eine Galionsfigur des neuen Wohlstandes wurde. Aus dieser Zeit im liebenswerten kleinbürgerlichen Milieu, das die Basis für das Wiedererstarken der deutschen Wirtschaft und Gemeinschaft war, berichten die zwölf ausgesuchten Blätter des Kalenders „Um die Ecke“, den der asso-Verlag für das Jahr 2011 zusammengestellt hat. Beteiligt ist wie schon in den vergangenen Jahren bei den Kalendern „Blagen“, „Nachbarn“ und „Mobil“ das Fotoarchiv Ruhr Museum, dessen phantastische Sammlung von Original-Fotos eine unerschöpfliche Quelle der jüngeren Zeitgeschichte ist.
 
Der Graphische Klub Stuttgart zeichnete den Schwarz-Weiß-Kalender mit der Bronzemedaille seiner internationalen Kalenderschau aus, bei immerhin 1.313 Einsendungen ein großartiges Ergebnis und hohes Lob für asso-Chefin Ingrid Gerlach und ihre Mitarbeiterinnen. Die gelungene Mischung aus Schnappschüssen und zeittypisch gestellten Aufnahmen läßt das Bild einer intakten bürgerlichen Gemeinschaft entstehen, in der Begriffe wie Arbeitslosigkeit, Integration, Islamismus und Endlager unbekannt waren. Es gab Hunderttausende Vertriebene und Flüchtlinge, die in der Bundesrepublik

  © Willy van Heekern / Fotoarchiv Ruhr Museum
einen Neuanfang machen mußten. Westdeutschland, vor allem das Ruhrgebiet profitierte in
Bergbau,  Handwerk und Sport von all den Koslowskis, Szymaniaks, Tilkowskis und Kwiatkowskis aus dem jetzt polnischen Schlesien. "Siedlungen" wurden in Nachbarschaftshilfe gebaut, um allen Wohnung zu geben. Erste Gastarbeiter aus Italien kamen, lebten sich fleißig und freundlich ein und bereicherten mit Restaurants und Eisdielen den deutschen Speisezettel. Es gab weder Internet noch Mobiltelefone, mp3 oder Kickboxen, DSDS, Fastfood oder Konflikte mit muslimischen Immigranten. Autos waren rar, Parkplätze gab es in Fülle und wer sich ein Moped anschaffen konnte, war fein raus. Bankdirektoren waren zwar gut aber maßvoll bezahlt, die skrupellose Maßlosigkeit des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts war wie die um sich greifende Jugendgewalt und die türkische Eroberung Deutschlands "durch die Hintertür" auch in den schlimmsten Alpträumen nicht abzusehen.
 
Das Leben der kleinen Leute spielte sich nachbarschaftlich auf der Straße, im Hof und bei „Tante Emma“ ab. Man saß in den Mußestunden nach Feierabend mit dem Pfeifchen (Juni) auf den Stufen vor der Tür der Bergmanns-Siedlung, hielt einen kleinen Plausch beim Einkaufen (Februar), bestaunte den neuen Wagen (Juli, könnte eine Floride sein...), sorgte im Schatten der Fördertürme im Gärtchen der Siedlung für das Gemüse für Mutters Küche (März) und freute sich über den Postboten, der damals noch zweimal am Tag kam und - das glaubt ja heute niemand mehr - fast ausschließlich Briefe und Postkarten von Mensch zu Mensch in seiner ledernen Umhängetasche brachte (November). Teppiche wurden noch im Hof geklopft

  © Anton Tripp /Fotoarchiv Ruhr Museum
(Oktober), denn einen Staubsauger besaß kaum jemand, und wer die Kartoffeln für den Winter im Keller hatte (September), konnte sich entspannt zurücklehnen. Der Zentner kostete 1958 übrigens 5,- DM. Die zwölf ausgesuchten Fotos
dieses Kalenders aus den Fünfziger bis Siebziger Jahren zeigen eine längst versunkene Zeit.

S
ie waren auch dabei - damals? Dann sollten Sie sich diesen Kalender im Internet oder im Buchladen einmal in Ruhe anschauen, ihn mit nach Hause nehmen und ihn dann an einen Fleck hängen, wo er Ihnen stets vor Augen ist. Erinnern Sie sich daran, wie es einmal war, als die Welt wieder in Ordnung kam und ein Plausch über den Gartenzaun oder unter der Tür des Lädchens nebenan die Menschen verband.
 
Um die Ecke – Monatskalender 2011
© 2010 asso Verlag Oberhausen, in Zusammenarbeit mit dem Fotoarchiv Stiftung Ruhr Museum, Essen - 12 Monatsblätter Format 40 x 40 cm, gedruckt in Duotone, Spiralbindung Motivübersicht auf der Rückseite des Kalenders  -  ISBN 978-3-938834-48-0  -  €(D) 19,90
 
Weitere Informationen unter: www.assoverlag.de