Fortschritt des Erinnerns
Guernica - Targa Jiu - Portbou
„Nichts auf der Welt, was so unsichtbar wäre wie Denkmäler“ meinte Robert Musil 1927. Tatsächlich gibt es viele Denkmäler an unauffälligen Orten, wo sie kaum wahrgenommen werden: in Parks, hinter Büschen verborgen, auf Verkehrsinseln oder an Orten, denen durch Stadtplanung ihre ursprüngliche Bedeutung verloren gegangen ist. Wie der Ort ist aber auch der Gang der Zeit für die Wahrnehmung eines Denkmals bedeutsam. Man gewöhnt sich an Denkmäler, je länger sie stehen. Das Denkmal, vor allem auch in seiner Urform als Grabmal, ist zunächst ein Ort der Erinnerung, des Denkens an Personen oder Ereignisse. Mit fortschreitender Zeit ändern sich aber Verhältnisse und Wahrnehmung: das Niederwald-Denkmal bei Rüdesheim ist heute ein Ausflugsziel für Touristen, spiegelt allenfalls für nachdenkliche Besucher den Nationalismus der Bismarck-Zeit. Ursprünglich sollte aber mit dem Denkmal der Siege und Heldentaten im Deutsch-Französischen Krieg von 1870 gedacht werden, die heute kaum mehr wahrgenommen werden. Auch alte Friedhöfe spiegeln eher die Grab-, Gedenk- und Garten- oder Parkkultur ihrer Zeit wieder, als daß sie dem Gedenken verstorbener und inzwischen vergessener Individuen dienen.
Welche Bedeutung hat dann eigentlich das Stelenfeld von Peter Eisenman in Berlin? Erinnert es an den Holocaust des Nazi-Reiches oder spiegelt es die deutsche Betroffenheit 60 Jahre danach wieder? Welche Motive haben die Auftraggeber zu Gedenkorten, an denen der Shoa gedacht werden soll? Geht es um Demonstration von Betroffenheit und Scham? Oder soll eine kollektive Erinnerung an historische Ereignisse erzeugt werden?
Die Denkmäler früherer Zeiten zu Ehren kriegerischer, patriotischer Heldentaten (Typ Siegessäule, Arc de Triomphe) wurden inzwischen von einer Kultur des Gedenkens an die grauenvollen Katastrophen der Vergangenheit abgelöst. Der 1. Weltkrieg mit 10 Millionen Toten, Gaskrieg und Zerstörung weiter Landschaften beförderte diesen Fortschritt, das Umdenken, welches am Arc de Triomphe sichtbar wird, der 1810 zu Ehren der napoleonischen Heere und Kriegszüge errichtet und im November 1920 zum Grabmal des unbekannten Soldaten geweiht wurde.
Unter dem Einfluß der Katastrophen des 20. Jahrhunderts nahm sich auch die Kunst der Kultur des Erinnerns an. Vielleicht gibt es ja sogar einen Fortschritt des Erinnerns.
Pablo Picasso (1881-1973) - Guernica
Picassos Gemälde „Guernica“ ist ursprünglich ein Denkmal für die Bombardierung der kleinen baskischen Stadt Gernika und ihrer Zivilbevölkerung im spanischen Bürgerkrieg durch die Francos Nationale Front unterstützende Legion Condor. Das widersprach internationalen Vereinbarungen nach den grauenhaften Erfahrungen des 1. Weltkriegs. Das Bild entstand als Auftragsgemälde der jungen spanischen republikanischen Regierung und wurde wenige Monate nach der Zerstörung Gernikas auf der Weltausstellung in Paris gezeigt. Picasso abstrahiert von der historischen Situation des Bombardements am 26.04.1937, zeigt keine spanischen oder deutschen Nationalitätszeichen, gibt keinen Hinweis auf Ursachen, beteiligte Bürgerkriegsparteien und Luftwaffen, auf Schuldige und Verantwortliche, sondern stellt das von einer Glühbirne als Symbol des technischen Fortschritts beleuchtete Gemetzel, das nackte Grauen dar. Der Titel des Bildes entstand aus dem Namen der zerstörten Stadt unter Einfügung des spanischen Wortes guerra (Krieg). Constantin Brancusi (1876-1957) - Targa Jiu
In Targa Jiu, jener rumänischen Stadt im Vorland der Südkarpaten (Walachei), entstand 1937/38 auf Wunsch der Nationalen Liga der Frauen als Auftraggeber eine Denkmalanlage nach den Plänen des Bildhauers Constantin Brancusi (1876-1957). Gedacht war an ein Denkmal zu Ehren der Soldaten, die 1916 die dortige Brücke über den Fluß gegen deutsche Truppen verteidigt hatten. Brancusi entwarf eine mehrteilige Anlage mit der Pforte des Kusses am Eingang, der Endlosen Säule auf der Anhöhe, dem Tisch des Schweigens am Flußufer und der neu angelegten Straße der Helden. Dieses Ensemble konnte sich gegen den Zahn der Zeit kaum behaupten. Nach der Erweiterung der Stadt schaut man seit den 1970er Jahren vom Tisch des Schweigens aus nicht mehr auf den Fluß, sondern auf Damm und Betonmauern. Die Endlose Säule sollte in der 1950er Jahren gar abgerissen werden, widerstand aber den ziehenden Ochsen und Pferden. Durch Neubau und Stadtentwicklung war die Straße der Helden ins Abseits geraten und die Einheit der Anlage mit ihren Sichtbeziehungen weitgehend verloren gegangen. 1996 wurde die Anlage vom World Monuments Fund (WMF) in die Liste der am meisten gefährdeten Monumente aufgenommen. Nach zögerlichen Restaurierungsversuchen - später unter internationaler Beteiligung - ist die Anlage wieder erstanden, in Teilen aber aktuell eher eine Grünanlage für Spiel und Erholung, in der jeweils am Silvesterabend, von der Stadtverwaltung inszeniert, an der Pforte des Kusses eine Massenhochzeit stattfindet. Die Geschichte dieses Ensembles spiegelt kaum einen Fortschritt der Erinnerung wieder. Dani Karavan (*1930) - Portbou
Portbou ist eine kleine spanische Hafenstadt am Mittelmeer in unmittelbarer Nähe zu Frankreich und als Grenzbahnhof bekannt, da hier zwischen der iberischen Halbinsel und Frankreich die Eisenbahn
Weitere Literatur zum Einlesen:
- Walter Benjamin: Sprache und Geschichte – Philosophische Essays (Reclams Universal-Bibliothek 175 Seiten)
- Walter Benjamin: Berliner Kindheit um neunzehnhundert (suhrkamp taschenbuch 3759 117 Seiten)
- Lisa Fittko, Mein Weg über die Pyrenäen, Hanser, München, Wien 1985, soeben bei dtv (München) neu erschienen.
- Dani Karavan. Retrospektive, Ernst Wasmuth Verlag, Tübingen Berlin 408 Seiten mit 386 meist farb. Abb., Format 26 x 29,5 cm. Hardcover - ISBN 978 3 8030 3325 3 Foto des Modells: Johannes Vesper – Fotos Portbou: Frank Mihm und Jaume Blasi
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